Dom Casmurro
zurückzahlte, sobald ihm dies möglich war, nicht ohne scherzhaft anzumerken: «Dona Glória, Sie sind ängstlich und haben keinen kaufmännischen Ehrgeiz.»
Die räumliche Trennung tat unserer Freundschaft keinen Abbruch. Er wurde zum Dritten in meinem Bunde mit Capitu. Seit er sie gesehen hatte, bestärkte er mich in meiner Liebe. Die Geschäftsverbindungen, die er mit Sanchas Vater geknüpft hatte, trugen dazu bei, seine Bekanntschaft mit Capitu zu verfestigen, und bald schon war er uns beiden ein Freund. Anfangs wollte Capitu dies nicht zulassen. Sie zog immer noch José Dias vor, doch mich hinderte ein Rest kindlichen Respekts daran, José Dias als Freund zu sehen. Es siegte Escobar, und Capitu ließ ihn schließlich mitmischen, wenngleich widerwillig, und seine Beteiligung an unserem Spiel sollte immer größer werden. Nicht einmal, als wir schließlich verheiratet waren, hörte er auf, für uns da zu sei n … Denn er heiratete – ratet mal wen – er heiratete die gute Sancha, Capitus Freundin, die fast so etwas wie eine Schwester für sie war. Deshalb nannte Escobar Capitu manchmal, wenn er mir schrieb, auch «seine kleine Schwägerin». So entstehen Zuneigungen und Verwandtschaftsbeziehungen, Abenteuer und Bücher.
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Der Sohn ist dem Vater
wie aus dem Gesicht geschnitten
Als ich als frisch gebackener Jurist nach Hause zurückkehrte, wollte meine Mutter vor lauter Glück fast zerspringen. Ich habe noch immer José Dias’ Stimme im Ohr, der das Johannesevangelium zitierte, als er sah, wie wir uns in den Armen lagen: «Weib, siehe, das ist dein Sohn! Siehe, das ist deine Mutter!» 61
Meine Mutter rief unter Tränen aus: «Bruder Cosme, ist er seinem Vater nicht wie aus dem Gesicht geschnitten?»
«Ja, er hat einiges von ihm, die Augen vor allem und die Gesichtsform. Er ist ganz der Vater, nur ein bisschen moderner», schloss er scherzend. «Und nun sag mir, Schwester Glória, war es nicht besser, dass er nicht darauf bestanden hat, Priester zu werden? Meinst du, dieser Bursche hätte einen vernünftigen Priester abgegeben?»
«Wie geht es meinem Stellvertreter?», wollte ich wissen.
«Es geht ihm ganz gut, er wird nächstes Jahr geweiht», antwortete Onkel Cosme. «Du solltest zur Ordination gehen, ich werde ebenfalls gehen, falls mein Herz es mir erlaubt. Es wird dir guttun, dich ein wenig in ihn hineinzuversetzen, so als würdest du selbst die Weihe erhalten.»
«Ja, das stimmt!», rief meine Mutter aus. «Aber schau noch einmal hin, Bruder Cosme, gleicht er nicht aufs Haar meinem verstorbenen Mann? Sieh mal her, Bentinho, sieh mich an. Ich fand ja immer schon, dass du ihm ähnlich siehst, aber jetzt ist es stärker denn je. Nur der Schnurrbart stört ein bissche n …»
«Ganz recht, Schwester Glória, der Schnurrbart stör t … aber die Ähnlichkeit ist sehr groß.»
Und meine Mutter küsste mich mit einer Zärtlichkeit, die ich kaum beschreiben kann.
Um ihr eine Freude zu bereiten, nannte mich Onkel Cosme «Herr Doktor». José Dias und alle anderen im Haus, die Base, die Sklaven, die Besucher, Pádua, seine Tochter und selbst meine Mutter, taten es ihm gleich und wiederholten ständig meinen Titel.
100
«Du wirst glücklich sein, Bentinho!»
Als ich in meinem Zimmer den Koffer auspackte und mein Diplom aus der Blechschatulle zog, dachte ich über das Glück und den Ruhm nach. Während José Dias mir still und diensteifrig zur Hand ging, sah ich meine Hochzeit und eine glänzende Karriere voraus. Auf einmal schwebte eine unsichtbare Fee hernieder und sprach mit weicher, warmer Stimme zu mir: «Du wirst glücklich sein, Bentinho. Du wirst glücklich sein.»
«Warum solltest du denn nicht glücklich sein?», fragte José Dias, der sich aufrichtete und mich ansah.
«Haben Sie das gehört?», fragte ich überrascht und richtete mich ebenfalls auf.
«Was soll ich gehört haben?»
«Diese Stimme, die mir sagte, dass ich glücklich sein werde.»
«Das ist gut! Du hast es doch selbst gesag t …»
Noch heute könnte ich schwören, dass es die Stimme einer Fee war. Aber vermutlich haben sich die aus Erzählungen und Gedichten vertriebenen Feen in unseren Herzen niedergelassen und sprechen nun durch uns. Ich habe oftmals diese Stimme vernommen, klar und deutlich. Bestimmt war es eine Base jener schottischen Hexen, die riefen: «Du wirst König sein, Macbeth!» 62 – «Du wirst glücklich sein, Bentinho!» Letztlich ist es dieselbe Vorhersage, im selben allgemeingültigen, ewigen Ton.
Als
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