Dom Casmurro
im Kopf. Er sah mich triumphierend an und fragte, ob es stimme. Und um ihm zu zeigen, dass er richtig gerechnet hatte, zog ich einen anderen Zettel aus der Tasche, auf dem die Gesamtsumme geschrieben stand. Ich zeigte sie ihm. Sie stimmte haargenau, nicht der kleinste Fehler: eintausendsiebzig Milreis.
«Das beweist, dass das arithmetische Denken einfacher und daher auch natürlicher ist. Die Natur ist einfach. Die Kunst ist kompliziert.»
Ich war so begeistert von den geistigen Fähigkeiten meines Freundes, dass ich ihn umarmen musste. Wir befanden uns im Innenhof, und andere Seminaristen bemerkten unseren Überschwang. Ein Pater, der dabeistand, missbilligte ihn.
«Die Bescheidenheit erlaubt solche Exzesse nicht», sagte er. «Ihr könnt euch auch mit Mäßigung gernhaben.»
Escobar meinte, die anderen und der Pater seien doch nur neidisch, schlug aber dennoch vor, weniger Umgang mit mir zu pflegen. Ich ließ ihn nicht ausreden und lehnte dies glattweg ab. Wenn es aus Neid war, dann waren mir die anderen erst recht gleichgültig.
«Wir werden es ihnen zeigen!»
«Abe r …»
«Lass uns noch bessere Freunde werden, als wir schon sind.»
Escobar drückte heimlich meine Hand, so kraftvoll, dass meine Finger jetzt noch schmerzen. Das ist natürlich nur Einbildung, oder es kommt von dem stundenlangen Schreiben ohne Pause. Legen wir also die Feder für eine Weile niede r …
95
Der Papst
Escobars Freundschaft wurde groß und trug Früchte, und José Dias wollte nicht dahinter zurückstehen. Am Wochenende darauf verkündete er mir: «Jetzt ist es sicher, dass du das Seminar bald verlassen wirst.»
«Wie denn?»
«Warte bis morgen ab. Ich bin gleich noch zu einem Spielchen eingeladen, aber morgen erzähle ich dir alles, entweder hier in deinem Zimmer, im Garten oder auf dem Weg zum Gottesdienst. Meine Idee ist so heilig, dass sie in einen Wallfahrtsort passen würde. Morgen, Bentinho.»
«Aber ist es schon sicher?»
«Vollkommen sicher!»
Am nächsten Tag enthüllte er mir das Geheimnis, und ich muss gestehen, im ersten Augenblick war ich zutiefst beeindruckt. Die Idee hatte etwas Großartiges und Spirituelles, das mich als Seminarist ansprach. Sie besagte Folgendes: Seiner Meinung nach bereute meine Mutter bereits, was sie getan hatte, und wünschte sich für mich ein weltliches Leben. Sie fühle sich jedoch durch das moralische Band des Gelübdes unlösbar gefesselt. Diese Fessel müsse gesprengt werden, und zwar mit Hilfe der Heiligen Schrift, welche den Aposteln die Macht verlieh, andere von Gelübden zu entbinden. Er und ich würden also nach Rom reisen und den Papst um Absolution bitte n … Was ich davon hielte?
«Das scheint mir eine gute Idee zu sein», antwortete ich, nachdem ich ein paar Sekunden überlegt hatte. «Es könnte der richtige Weg sein.»
«Es ist der einzige, Bentinho, der einzige! Ich werde heute noch mit Dona Glória sprechen und ihr alles darlegen, und in zwei Monaten oder vielleicht sogar schon früher können wir aufbreche n …»
«Sprechen Sie lieber erst nächsten Sonntag mit Mama, lassen Sie mich noch darüber nachdenke n …»
«Aber Bentinho!», unterbrach mich der Hausfreund. «Worüber willst du denn nachdenken? Du willst doch nu r … Soll ich es sagen? Du wirst doch nicht deinen alten Freund verärgern? Du willst doch nur jemanden um Rat fragen.»
Streng genommen waren es zwei Menschen, nämlich Capitu und Escobar, dennoch behauptete ich steif und fest, niemanden um Rat fragen zu wollen. Wen sollte ich auch fragen? Den Rektor vielleicht? Dem würde ich so etwas bestimmt nicht anvertrauen. Nein, nicht dem Rektor und auch keinem Lehrer, niemandem. Ich bräuchte nur eine Woche Zeit, um darüber nachzudenken, am Sonntag würde ich ihm die Antwort geben, könne ihm aber jetzt schon sagen, dass mir die Idee nicht schlecht erscheine.
«Nein?»
«Nein.»
«Dann beschließen wir es doch gleich heute!»
«So einfach ist es nicht, nach Rom zu reisen.»
«Alle Wege führen nach Rom, zumal in unserem Fall, da wir Geld haben. Das Geld ist natürlich für dic h … Ich brauche nichts; ein Paar Hosen, drei Hemden und das tägliche Brot, mehr nicht. Ich werde es halten wie der Heilige Paulus, der sich von milden Gaben ernährte, als er das Wort Gottes predigte. Nun, predigen werde ich das Wort Gottes nicht, aber suchen. Wir werden einen Brief des Internuntius und des Bischofs überbringen, Briefe an unseren Botschafter, Briefe der Kapuziner. Ich weiß jetzt schon, was man
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