Dom Casmurro
gegen diese Idee vorbringen wird. Man wird sagen, wir sollten den Dispens von hier, aus der Ferne, erbitten, aber ganz abgesehen von anderen Gründen, die ich nicht nennen möchte, muss man sich doch nur vorstellen, wie viel schöner und feierlicher es ist, wenn das Objekt des Gelübdes selbst, der der Kirche versprochene junge Mann, den Vatikan betritt, sich zu Füßen des Papstes niederwirft und für die zarteste und sanfteste aller Mütter die Aufhebung ihrer Verpflichtung erbittet. Stell dir doch das Bild vor, wie du dem Obersten Apostel die Füße küsst, Seiner Heiligkeit, die sich mit einem frommen Lächeln vorbeugt, fragt, zuhört, die Absolution erteilt und segnet. Die Engel sehen auf dich herab, die Jungfrau Maria empfiehlt ihrem heiligsten Sohne, dass dir, Bentinho, all deine Wünsche erfüllt werden und das, was du auf Erden liebst, auch im Himmel geliebt werd e …»
Ich schreibe nicht weiter, weil ich das Kapitel abschließen muss und José Dias einfach nicht aufhörte zu reden. Er sprach all meine Gefühle als Katholik und auch als Verliebter an. Ich sah die erleichterte Seele meiner Mutter vor mir, das glückliche Herz Capitus, sah die beiden zu Hause und mich mit ihnen und José Dias mit uns. All dies könnte mittels einer kleinen Reise nach Rom, das ich nur von der Landkarte und natürlich von seiner spirituellen Bedeutung her kannte, erreicht werden. Wie weit es indes von Capitus Willen entfernt war, wusste ich nicht. Doch das war das Entscheidende. Empfände Capitu die Entfernung als zu weit, führe ich nicht. Ich musste zuerst ihre Meinung einholen und ebenso die von Escobar, der mir bestimmt einen guten Rat geben würde.
96
Ein Stellvertreter
Ich legte Capitu José Dias’ Idee dar. Sie hörte mir aufmerksam zu und war am Ende traurig.
«Wenn du weggehst», sagte sie, «wirst du mich vergessen.»
«Niemals!»
«Doch, du wirst mich vergessen. Europa soll sehr schön sein, und Italien ganz besonders. Kommen nicht die Opernsängerinnen von dort? Du wirst mich vergessen, Bentinho. Gibt es denn keinen anderen Weg? Dona Glória wünscht sich nichts sehnlicher, als dass du aus dem Seminar austrittst.»
«Ja, aber sie glaubt, an das Gelübde gebunden zu sein.»
Capitu hatte keine andere Idee, konnte sich aber auch nicht mit dieser abfinden. Dann bat sie mich, ihr für den Fall, dass ich doch nach Rom reisen würde, zu schwören, dass ich nach sechs Monaten wiederkäme.
«Das schwöre ich dir.»
«Bei Gott?»
«Bei Gott und bei allem. Ich schwöre, dass ich nach sechs Monaten zurück sein werde.»
«Aber wenn der Papst dich dann noch nicht freigegeben hat?»
«Dann bringe ich ihn dazu.»
«Lügst du auch nicht?»
Dieser Satz schmerzte mich sehr, und ich fand nicht sofort eine Erwiderung darauf. Capitu fing an, darüber zu diskutieren, sie lachte und nannte mich einen Heuchler. Dann behauptete sie zwar, mir zu glauben, dass ich den Schwur einhalten würde, dennoch stimmte sie der Idee nicht sofort zu. Sie wollte zuerst überlegen, ob es nicht eine andere Lösung gäbe, und ich sollte ebenfalls danach suchen.
Als ich ins Seminar zurückkam, erzählte ich alles meinem Freund Escobar, der mir mit derselben Aufmerksamkeit zuhörte und am Ende ebenso traurig war wie Capitu. Seine Augen, die sonst immer so unruhig wirkten, waren nun ganz fest auf mich gerichtet. Auf einmal jedoch leuchtete sein Gesicht auf, es war der Widerschein einer Idee. Ich hörte ihn aufgeregt sagen: «Nein, Bentinho, das ist nicht nötig. Ich weiß etwas Besseres – nein, ich will nicht von besser sprechen, der Heilige Vater ist stets wertvoller als alles andere – aber es gibt etwas Wirkungsvolleres.»
«Was ist es?»
«Deine Mutter hat Gott versprochen, ihm einen Priester zu schenken, nicht wahr? Nun gut, dann soll sie ihm einen Priester schenken, aber nicht dich. Sie kann doch genauso gut einen Waisenjungen adoptieren, ihm das Seminar finanzieren und ihn weihen lassen, dann hat Gott seinen Priester, ohne dass d u …»
«Ich verstehe, ich verstehe. Das ist die Lösung.»
«Nicht wahr?», fuhr er fort. «Erkundige dich doch bei dem Protonotar. Er wird dir sagen, ob es dasselbe ist. Ich kann ihn auch selbst fragen, wenn du möchtest. Und sollte er zögern, sprechen wir mit dem Bischof.»
Ich überlegte: «Ja, mir scheint, das ist die Lösung. Das Gelübde wird erfüllt, ohne dass ich Priester werde.»
Escobar merkte an, dass die Sache auch in ökonomischer Hinsicht keinerlei Problem sei. Meine Mutter würde
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