Dom Casmurro
den Regen ein und zündete seine Sterne an, und zwar nicht nur die bereits bekannten, sondern auch die, die erst in vielen Jahrhunderten entdeckt werden. Das war eine feine Geste, aber es war nicht die einzige. Der Heilige Petrus, der die Himmelsschlüssel verwahrt, öffnete uns die Tore und hieß uns eintreten. Er berührte uns mit seinem Stab und trug uns ein paar Verse aus seinem ersten Brief vor. «Desgleichen sollt ihr Frauen euren Männern untertan sei n … Euer Schmuck soll nicht auswendig sein mit Haarflechten und Goldschmuck oder Kleiderpracht, sondern der verborgene Mensch des Herzens im unvergänglichen Schmuck des sanften und stillen Geiste s … Desgleichen, ihr Männer, wohnet bei ihnen mit Vernunft und gebet dem weiblichen als dem schwächeren Geschlecht seine Ehre. Denn auch die Frauen sind Miterben der Gnade des Leben s …» 64 Dann gab er den Engeln ein Zeichen, und sie stimmten einen Teil des Hoheliedes an, und zwar so harmonisch, dass sie, hätte das Ganze auf Erden stattgefunden, die Theorie des italienischen Tenors widerlegt hätten; doch es geschah im Himmel. Musik und Text passten zusammen, als wären sie gemeinsam zur Welt gekommen, ähnlich wie in den Wagner-Opern. Und wir begaben uns hinein in dieses unendliche Universum. Keine Sorge, liebe Leser, ich werde es hier nicht näher ausführen, zumal die menschliche Sprache dafür gar nicht die geeigneten Ausdrucksformen besitzt.
Vielleicht war am Ende alles nur ein Traum. Für einen ehemaligen Seminaristen ist nichts selbstverständlicher, als nur Latein und Worte aus der Heiligen Schrift um sich herum zu hören. Doch Capitu, die weder die Heilige Schrift noch Latein studiert hatte, wusste ebenfalls ein paar Worte aufzusagen, zum Beispiel diese hier: «Unter seinem Schatten zu sitzen, begehre ich.» 65 Zu den Worten des Heiligen Petrus sagte sie mir am nächsten Tag, ich sei der einzige Goldschmuck und die einzige Kleiderpracht, die sie je tragen werde. Worauf ich erwiderte, meine Ehefrau werde stets den feinsten Goldschmuck der Welt besitzen.
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Als Vermählte
Stellt euch eine Uhr vor, die nur ein Pendel, aber kein Zifferblatt hat, sodass die genaue Uhrzeit nicht abgelesen werden kann. Das Pendel schwingt von einer Seite zur anderen, ohne dass ein äußeres Zeichen den Lauf der Zeit markiert. So war diese Woche in Tijuca. Hin und wieder kamen wir auf die Vergangenheit zu sprechen und machten uns einen Spaß daraus, unsere frühere Traurigkeit und unsere Nöte wieder aufleben zu lassen. Doch das taten wir nur, um ganz bei uns zu bleiben. Auf diese Weise durchlebten wir erneut das lange Warten als Verliebte, die Jahre der Jugend, die Enthüllung, die in einem der ersten Kapitel beschrieben wird, und lachten über José Dias, der unsere Entzweiung angezettelt hatte, um am Ende unsere Vereinigung zu bejubeln. Das eine oder andere Mal überlegten wir wohl, in die Stadt hinunterzufahren, doch an den Vormittagen, an denen wir es vorhatten, regnete es oder war sehr sonnig, und eigentlich warteten wir auf einen Tag mit bedecktem Himmel, der aber nicht kommen wollte.
Dennoch hatte ich das Gefühl, dass Capitu langsam ungeduldig wurde. Zwar hatte sie zugestimmt zu bleiben, aber sie sprach ständig von ihrem Vater und meiner Mutter, die keine Nachricht von uns hätten und so weiter und so fort, bis wir uns schließlich sogar ein wenig stritten. Ich fragte sie, ob sie bereits genug von mir habe.
«Ich?»
«Ja, du. So sieht es aus.»
«Du bist und bleibst ein großes Kind», sagte sie, nahm mein Gesicht zwischen ihre Hände und sah mich aus nächster Nähe an. «Meinst du, ich habe so viele Jahre gewartet, um dann in einer Woche genug von dir zu haben? Nein, Bentinho, ich sage das, weil ich wirklich glaube, dass sie uns gern sehen würden oder vielleicht meinen, dass wir krank sind. Und ich muss auch gestehen, dass ich Papa gern wiedersehen würde.»
«Dann lass uns morgen fahren.»
«Nein, der Himmel muss doch bedeckt sein», erwiderte sie lachend.
Ich stimmte in ihr Lachen ein und nahm sie beim Wort, doch ihre Ungeduld hielt an, und schließlich fuhren wir doch bei Sonne in die Stadt.
Die Freude, mit der sie ihren Hut der Vermählten aufsetzte, und das Gebaren der Vermählten, mit dem sie mir beim Ein- und Aussteigen am Wagenschlag und beim Flanieren auf der Straße den Arm reichte, all dies zeigte mir, dass Capitu nur deshalb so ungeduldig gewesen war, weil sie ihren neuen Familienstand in der Öffentlichkeit zeigen wollte. Es genügte ihr
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