Domain
außer Hörweite waren.
Sie betraten die Küche, schenkten sich Kaffee ein und nahmen an einem Tisch in der Ecke des Speiseraums Platz.
»Wann kann Steve das Bett verlassen?« fragte Kate.
»Sie mögen ihn, oder irre ich mich?«
»Er hat mir das Leben gerettet.«
Die Ärztin hielt den Blick auf eine Fliege gerichtet, die über die Zuckerwürfel krabbelte. Ob das Insekt die Katastrophe, die über die Menschen gekommen war, überhaupt zur Kenntnis genommen hatte? Clare machte eine Handbewegung. Die Fliege flog fort.
Sie wandte sich zu dem Mädchen. »Wen haben Sie
verloren?«
Kate schlug die Augen nieder. »Meine Eltern. Zwei Brüder.«
»Ich sehe eine Chance, dass Ihre Familie den Angriff überlebt hat.«
Ein trauriges Lächeln spielte um die Lippen des Mädchens.
»Ich nicht.«
»Hatten Sie keinen Freund?« fragte Clare.
»Es gab einen Freund«, sagte Kate ausweichend. »Aber die Sache ist vor ein paar Monaten auseinandergegangen. Es ist merkwürdig, aber ich kann mich nicht einmal mehr an sein Gesicht erinnern.«
»Culver hatte niemanden. Wussten Sie das?«
»Hat er Ihnen das gesagt?« fragte Kate.
»Nicht mit diesen Worten.« Clare Reynolds war bei der zweiten Zigarette angekommen. »Vor ein paar Tagen war ich dabei, als er im Fieber etwas flüsterte – vielleicht einen Namen.«
»Das würde bedeuten, dass es doch jemanden gibt, dem er nahestand.«
»Es ist anders, als Sie denken. Es scheint sich um mehrere Menschen zu handeln, die schon vor einiger Zeit gestorben sind. Vielleicht seine Frau und seine Kinder oder ein Mädchen und ihre Familie. Er sprach davon, dass sie ertrunken sind.
Steve scheint einen klassischen Schuldkomplex zu haben. Er sagte: ›Ich kann sie nicht retten. Mein Gott, sie ertrinken!‹
Vielleicht hat er Sie gerettet, weil er sich am Tod eines oder mehrerer Menschen schuldig fühlte. Aber um auf Ihre Frage zu kommen, er wird in ein oder zwei Tagen aufstehen können.
Warum gehen Sie nicht nachher bei ihm vorbei und statten ihm einen Besuch ab? Ich bin sicher, er wird sich sehr freuen.
Wenn ich das sagen darf, Sie beide passen gut zueinander.«
»Ich kann nach der Katastrophe an so etwas gar nicht denken.«
»Das sollten Sie aber. Es gibt Dinge, die man nicht aufschieben sollte. Besonders nicht, wenn die Zukunft ein großes Fragezeichen ist.« Sie ertastete das Handgelenk des Mädchens. »Kate, haben Sie eine Ahnung, was uns erwartet, wenn wir diesen Bunker verlassen?«
»Ich ziehe es vor, nicht darüber nachzudenken.«
»Das wird Ihnen nicht erspart bleiben. Wollen Sie meine Meinung hören?«
»Bitte.«
»Es wäre denkbar, dass die Menschen in diesem Bunker die einzigen Überlebenden der Katastrophe sind.«
»Aber, Frau Dr. Reynolds, ich…«
»Wie wäre es, wenn Sie mich Clare nennen?«
»Clare, Sie können mir glauben, dass ich den Mut aufbringe, um den Tatsachen ins Auge zu sehen. Ich will überleben, und ich will anderen helfen, zu überleben. Ich möchte Ihnen ein Angebot machen. Ich will Ihnen regelmäßig in der Krankenstation helfen, so gut ich kann. Allerdings werde ich wohl nie eine gute Krankenschwester werden. Ich kann kein Blut sehen.« Clare lächelte. »Sie werden es schon schaffen.«
Sie nippten an ihrem Kaffee, und Clare Reynolds dachte darüber nach, wie es wohl über der Erde aussah. Wenn es Überlebende gab, so waren sie von den Ärzten in drei Gruppen eingeteilt worden. Erstens jene, die trotz medizinischer Behandlung keine Überlebenschance hatten. Zweitens jene, die mit Behandlung überleben würden. Drittens jene, die so wenig Strahlung abbekommen hatten, dass sie keine Behandlung brauchten. Der Plan, der in den Jahren nach dem Zweiten Weltkrieg entwickelt worden war, sah klipp und klar vor, dass die Unheilbaren keine medizinische Betreuung bekommen würden. Ob es sich bei dem Chaos, das über der Erde herrschen musste, überhaupt weiterzuleben lohnte, war eine andere Frage. Millionen von Leichen lagen auf den Straßen, unter den Trümmern. Schon zu normalen Zeiten rechnete man in England mit hundert Millionen Ratten. Nachdem es keine sanitären Maßnahmen mehr gab, mit denen sich das Ungeziefer unter Kontrolle halten ließ, musste sich die Zahl vervielfacht haben…
»Ist Ihnen nicht gut?« fragte Kate. »Sie sind plötzlich aschfahl geworden.«
»Was? Entschuldigen Sie, ich war in Gedanken.«
»Wollen Sie mir nicht sagen, worüber Sie sich Sorgen machen?«
»Vielleicht sollte ich das. Ich mache mir Sorgen über die Seuchen, die nach
Weitere Kostenlose Bücher