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einer solchen Katastrophe auf der Erde wüten. Gelbsucht, Ruhr und Tuberkulose werden sich ausbreiten wie eine biblische Plage. Typhus. Cholera. Tollwut.
Kinderkrankheiten, die längst besiegt waren, werden Millionen von Säuglingen dahinraffen. Wir Ärzte sind dagegen machtlos.«
Die Ruhe, mit der Frau Dr. Reynolds sprach, ließ Kate das Blut in den Adern erstarren.
»Clare, gäbe es nicht die Möglichkeit, aus dem Bunker in einen Landesteil zu flüchten, der bei dem Angriff verschont geblieben ist?«
»Wir wissen bis jetzt nicht, ob über das ganze Land Atombomben abgeworfen wurden oder ob der Angriff sich auf London konzentrierte. Aber auch wenn es Gebiete gibt, die bei dem Angriff ausgespart wurden, so muss man damit rechnen, dass sie durch den Wind durch radioaktive Niederschläge verseucht werden. Ich weiß, dass ich als Ärztin nicht so sprechen sollte. Meine Aufgabe ist es, den Menschen Hoffnung zu machen. Aber ich möchte Sie nicht belügen.«
Kate erschauerte. Sie begriff, dass der Alptraum nicht vorüber war. Er hatte gerade erst begonnen.
9
Culver hob den Kopf und warf einen Blick in die Runde. Ob es vielleicht einen Patienten gab, mit dem er reden konnte? Seine Suche endete ohne Ergebnis. Alle schliefen. Ihm war langweilig. Auch wenn die Männer, die mit ihm auf der Krankenstation lagen, wach waren, gaben sie sich nicht gerade redselig. Jene, die jetzt reglos in ihren Betten lagen, hatten eine Beruhigungsspritze bekommen. Drei Techniker. Ein Offizier des Royal Observation Corps. Wegen psychischer
Ausfallerscheinungen waren die vier in den Krankenflügel eingeliefert worden. Einer der Techniker hatte sich die Pulsadern aufgeschnitten, nur durch einen Zufall war er gerettet worden.
Er ließ sich auf das Kissen sinken. Fünf Tage lang hatte er hohes Fieber gehabt, eine Zeit, an die er sich nicht recht erinnern konnte. Bilder und Geräusche, alles verschwamm zu einem wilden Traum.
Er zog die Bettdecke zur Seite und betrachtete die Wunde, die ihm die Ratte am Schenkel zugefügt hatte. Eine Narbe hatte sich gebildet. Er hatte ein taubes Gefühl, wenn er mit dem Finger über das Gewebe fuhr. Immerhin, es tat nicht mehr weh.
Sein Blick blieb auf den Neonleisten an der Decke haften.
Culver schien es, als leuchteten sie heller als früher, als seien die Farben im Raum kräftiger, als er sie in Erinnerung hatte.
Sogar die gefilterte Luft roch besser. Nicht mehr so schal.
Warum war es so schwierig, den Verlauf der letzten fünf Tage in sein Gedächtnis zurückzurufen? Begonnen hatte das Drama mit Magenkrämpfen. Ach ja, und dann hatte ihm Dr. Reynolds erklärt, dass er es, was die wunderschöne gelbe Gesichtsfarbe anging, mit jedem Chinesen aufnehmen konnte. Erbrechen, Fieber, Alpträume. Die Ärztin hatte ihm erläutert, dass es sich dabei um eine Folge der radioaktiven Strahlung handelte, die er bei seiner Flucht in den Bunker abbekommen hatte. Das eigentliche Problem aber, so hatte sie hinzugefügt, sei die infizierte Wunde. Der Rattenbiss. Sie hatte ihm ein Serum injiziert, das sehr schnell gewirkt hatte. Culver hatte die Giftstoffe ausgeschwitzt, die mit dem Speichel der Ratte in die Wunde gelangt waren. Nachdem die gefährliche Phase überstanden war, hatte ihn eine nie gekannte Erschöpfung befallen. Er hatte viele Stunden zwischen Wachen und Traum verbracht. Clare Reynolds hatte ihm vollständige Ruhe verordnet. Ausruhen, so hatte sie hinzugefügt, sei immer noch das beste Heilmittel.
Inzwischen fühlte sich Culver wieder ganz fit. Seine Kräfte würden zurückkehren, wenn er erst einmal auf den Beinen war.
Ärgerlich war nur, dass er nicht wusste, wo seine Kleidung versteckt war.
Er schlug das Laken zurück und ertastete mit seinen Zehen den Boden. Plötzlich öffnete sich die Tür. Rasch zog er die Beine wieder hoch und bedeckte seinen Unterleib. Das Mädchen trat näher. Sie lächelte.
»Gut siehst du aus.«
»Mir geht’s auch wieder ganz gut«, sagte er zögernd.
Sie nahm auf der Bettkante Platz, wobei sie sich vorbeugte, um nicht mit dem Kopf auf das obere Bett zu stoßen. »Wir haben uns große Sorgen um dich gemacht. Du hast ganz schön an Gewicht verloren.«
Was sie sagte, versetzte ihn in Staunen. »Hast du mich während meiner Krankheit versorgt?«
»Frau Dr. Reynolds und ich haben uns abgelöst, kannst du dich daran denn nicht mehr erinnern?«
Er rieb sich die Bartstoppeln. »Meine Erinnerung ist wie ein Sieb.« Ein paar Sekunden lang schwieg er. Dann: »Ich sehe dich, wie
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