Domain
sage Ihnen die volle Wahrheit! Ich war für den Zivilschutz zuständig, das ist alles! Kann sein, dass Dealey mehr über die Angelegenheit weiß.«
Culver starrte den Mann, der einige Jahre älter war als er, ein paar Herzschläge lang an. Schließlich löste sich seine Spannung. »Dealey«, echote er. Jetzt erinnerte er sich an die Bemerkung, die Dealey während der Flucht gemacht hatte. Der Mann war infolge des Atomblitzes erblindet gewesen. Culver hatte ihm von den Riesenratten berichtet, die den Zugang zum Bunker versperrten, und Dealey hatte auf diesen Bericht anders als erwartet reagiert, nämlich ohne Erstaunen. Er hatte sich nach dem Aussehen der Tiere erkundigt, ganz so, als sei es nicht das erste Mal, dass Mutanten in den Tunnels auftauchten.
»Ich werde Dealey um eine Erklärung bitten, sobald wir wieder im Bunker sind«, sagte Culver. Er wandte sich zu den anderen Männern. »Wir gehen jetzt nach oben. Ich möchte wissen, was von London übriggeblieben ist.«
Sie erklommen die Stufen, die aus der Schalterhalle in die Oberwelt führten. Regen prasselte auf die Treppe.
»Nicht nur die Stadt ist zerstört worden, auch der Himmel.«
Die drei fanden es erstaunlich, dass Fairbank so etwas sagte.
Es passte nicht zu ihm. Culver spürte, wie ein Schauder über seinen Rücken kroch.
»Messen Sie die Radioaktivität«, sagte Bryce, zu McEwen gewandt. »Zuerst auf dem Treppenabsatz, der vom Regen nicht erreicht wird, dann oben.«
Der ROC-Mann schaltete seinen Geigerzähler ein. Ich hätte schon unten im Tunnel erste Messungen durchführen sollen, dachte er. Aber die erschreckenden Erlebnisse beim Beginn der Erkundungstour hatten das verhindert.
Ein langsames Knattern war zu hören. »Kein Grund zur Sorge«, sagte McEwen. »Das Gerät registriert die energiegeladenen Partikel, die sich zu jedem Zeitpunkt in der Atmosphäre befinden. Die Werte sind vollkommen normal.«
»Hat jemand Lust auf eine Dusche?« Fairbank deutete nach oben, wo im fahlen Licht des Tages der sintflutartige Regen zu erkennen war.
McEwen runzelte die Stirn. Dann tat er einen Schritt nach vorn und hielt den Geigerzähler in den Regen.
»Der Regen ist warm!« Er zog die Hand zurück, als sei er von einer Natter gebissen worden.
»Alles kein Problem«, sagte Bryce. »Die Skala zeigt normale Werte.«
»Und Sie finden es nicht besorgniserregend, dass der Regen warm ist?« Culver musterte Bryce mit unverhohlenem Misstrauen.
Der zuckte die Achseln. »Wer weiß, wie es in den höheren Schichten der Atmosphäre aussieht? Die Welt ist durcheinandergeraten. Vielleicht fällt jetzt kalter Regen auf die Länder am Äquator.« Sein Ton wurde schärfer. »Mir gefällt die Art nicht, wie Sie mit mir umspringen, Culver. Sie tun gerade so, als ob ich für dies alles verantwortlich wäre. Ich bin nur ein Rädchen im Getriebe der Regierung, das sollten Sie sich merken. Mein Job war und ist es, Leben zu schützen, nicht Leben zu vernichten. Weil ich meine Pflichten ernst nehme, habe ich mit den Ministern mehr Kämpfe ausgefochten, als Sie sich vorstellen können. Vor ein paar Jahren war die Regierung drauf und dran, das Civil Defense Corps aufzulösen. Ich habe damals die Öffentlichkeit mobilisiert, um das zu verhindern.«
Culver wollte etwas antworten, als Fairbank dem Streit der beiden ein Ende machte. »Ich hätte Lust, mich da oben etwas umzusehen. Wer kommt mit?«
Es dauerte ein paar Sekunden, dann erschien ein Lächeln in Culvers Mundwinkeln. »Fairbank hat recht. Sehen wir einmal nach, was von London noch stehengeblieben ist.«
Er trat unter dem Dach hervor und ließ den Regen über sich rinnen.
Es war ein gutes Gefühl. Reinigung, Läuterung. Er legte den Kopf in den Nacken und ließ sich die Tropfen auf die Stirn prasseln. McEwens Beobachtung war korrekt gewesen. Der Regen war warm, unnatürlich warm. Aber es war Regen, Culver fand das wunderbar. Er ging die letzten Stufen hinauf und blieb stehen, bis die anderen ihn eingeholt hatten. Sie warfen einen entsetzten Blick in die Runde. Eine geisterhafte Stille lag über dem, was einst London gewesen war, nur der Regen war zu hören.
Bryce fiel auf die Knie und schluchzte. »Nein, nein, nein…«
12
Vor vielen Jahren, als Culver noch ein kleiner Junge war, hatte ihm jemand einmal einen Sepiadruck gezeigt. Es war die Reproduktion einer Fotografie, die in Beaumont Hamel, einer Kleinstadt im Gebiet der Schlacht an der Somme, aufgenommen war. In Beaumont Hamel hatte der Erste Weltkrieg gewütet,
Weitere Kostenlose Bücher