Domfeuer
absichtlich, daran konnte es keinen Zweifel geben. Nach dem Spießrutenlauf nun also der Pranger.
Wie ein Verurteilter in einer Arena stand Gerhard inmitten des Saales. Den Raubtieren zum Fraße vorgeworfen. Jeder Blick ein Reißzahn, jedes Geflüster eine Pranke, die sich in sein Fleisch bohrte. Es tat weh, so dazustehen. Eine Weile lang mied Gerhard jeden Blickkontakt. Bald aber straffte er den Rücken und hob den Kopf. Wenn schon, dann wollte er denen, die das Urteil über ihn bereits gesprochen hatten, mit Würde begegnen.
Er hatte nichts von dem weiteren Tunnel gewusst, hatte ganz auf Burkharts Können vertraut. Mit solch einem Sturm hatte er nicht rechnen können.
Er hatte sein Bestes gegeben.
Doch all das würden der Erzbischof und das Domkapitel als Ausflüchte werten. Er, Gerhard, hatte die Verantwortung gehabt. Es war seine Pflicht gewesen, Fehler zu entdecken und das Unerwartete zu erwarten. Er, Gerhard, hatte den Erzbischof, das Domkapitel und die ganze Stadt beschämt. Der missglückte Teilabbruch vor den Augen so vieler Besucher von weit her war schlicht peinlich. Wie wollte Köln einen Dom bauen, wenn es noch nicht einmal in der Lage war, den alten niederzulegen, ohne dass es zu fürchterlichem Unheil kam?
Als endlich Konrad von Hochstaden in den Saal trat, war Gerhard beinahe erleichtert, dass seine Folter nun bald beendet sein würde. Vor dem Erzbischof wichen die Geistlichen zurück und gaben ihm den Weg frei. Konrad nahm auf einem schweren Lehnstuhl Platz, der erhöht am Kopf des Saales stand. Das Gemurmel verstummte. Gerhard senkte sein Haupt.
»Gerhard von Rile, Ihr zeichnet als Dombaumeister verantwortlich für das, was vor den Toren meines Palastes geschehen ist.«
Konrad saß aufrecht und mit weinroter Bischofsmütze in seinem Stuhl. Er kam ohne Umschweife zur Sache. Dies war kein Gerichtssaal, aber was nun geschehen würde, dessen war Gerhard sich sicher, würde einem Prozess gleichkommen.
»Hättet Ihr die Güte, Meister Gerhard, uns eine Erläuterung zu geben, was dieser Stadt, ihren Bürgern und mir am gestrigen Tage widerfahren ist?«
Gerhard räusperte sich lauter und kräftiger, als ihm lieb war. »Eminenz, werte Herren, auch ich stehe noch ganz unter dem Eindruck dieser Katastrophe. Ich täte alles, sie ungeschehen zu machen. Dies kann ich aber nicht. Ich kann Euch nur unterbreiten, wie eine Verkettung unglücklichster Umstände und ein Anschlag auf den Stolz unserer Stadt zu diesem verheerenden Unglück geführt haben.«
»Ein Anschlag?«
»So werte ich es, Eminenz. Der Bau der Brandtunnel ist nicht mit der Sorgfalt ausgeführt worden, die ich von meinen Werkmeistern gewohnt bin. Vielleicht war es Böswilligkeit, vielleicht schlicht nur Unvermögen. Ich weiß es nicht, und ich werde es wohl nie herausfinden, da der Mann, den ich befragen müsste, tot ist.«
Konrad hob eine Augenbraue. »So haben also das Schicksal in Gestalt eines Sturms und Stümperei unseren Dom in Schutt und Asche gelegt?«
»Dem ist so, Eminenz.«
»Und wie deutet Ihr das, Meister Gerhard?«
Gerhard blickte zum Erzbischof auf. Konrad hatte die Fingerspitzen aneinandergelegt und neigte den Kopf zur Seite. Alle im Saal, ausnahmslos alle, sahen Gerhard erwartungsvoll an. Und Konrad zwinkerte ihm zu. Gerhard blinzelte, weil er glaubte, sich getäuscht zu haben. Doch der Erzbischof zwinkerte erneut, und Gerhard war der Einzige, der es gewahr wurde.
»Wie deutet Ihr das, Gerhard von Rile?«, wiederholte Konrad und dehnte die Worte dabei so auffällig, dass Gerhard sich unvermittelt an sein Gespräch mit dem Erzbischof im Dom erinnerte.
Also gut, lassen wir uns auf das Spiel ein. Deute, was geschehen ist.
Das waren Konrads Worte in jener Nacht gewesen. In dem Gespräch hatte der Erzbischof ihm einige Dinge mit auf den Weg gegeben – vor allem die Fähigkeit, Niederlagen als Siege zu deuten und Zweifel abzulegen.
Wie würde Konrad an seiner Stelle nun reden?
»Es … es war der Wille des Herrn.«
Ein Raunen rollte durch den Saal. Gerhard vermochte nicht zu erkennen, ob er die Geistlichen nur überrascht oder empört hatte.
»Erklärt Euch, Meister Gerhard.«
»Alles, was auf Erden geschieht, unterliegt dem Willen des Herrn. So also auch das, was gestern vorgefallen ist. Wir waren machtlos, weil Gott wollte, dass der alte Dom niederbrennt.«
Dompropst Konrad von Büren löste sich aus der Menge und trat vor Gerhard. »Wollt Ihr uns allen Ernstes weismachen, Gott könnte dieses fürchterliche Feuer
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