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Domfeuer

Domfeuer

Titel: Domfeuer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dennis Vlaminck
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den Kotzbänken nach meiner monatlichen Fleischmahlzeit gesucht habe.«
    Eine gute Ausrede, fand Paulus. Die Kotzbänke standen mitten auf dem Alter Markt. Eingeweide, Knochen, Sehnen, Ohren, Schwänze, Füße – was auch immer von Schwein, Rind oder Schaf nach der Schlachtung als Abfall blieb, landete hier. Zum halben Preis fanden auch die dreckigsten Därme noch Abnehmer, und was sich gar nicht zu Geld machen ließ, fraßen die Hunde oder trat sich im Boden fest.
    Barthel schüttelte sich. Er schien das Thema nicht vertiefen zu wollen.
    »Was fällt dir ein?«, fuhr er stattdessen Paulus an. »Ich dachte, wir wollten uns einen schönen Abend in der ›Krone‹ machen? Warum gibst du dich wieder mit diesem Schandfleck unserer Familie ab, diesem Gesetzesbrecher? Du warst doch auf einem so guten Weg. Jetzt lass uns gehen, komm mit.«
    Er griff Paulus’ Hand, als wäre er noch ein kleiner Junge, und versuchte, ihn fortzuziehen. Matthias aber warf den Knochen fort und packte Paulus an der anderen Hand.
    »Ich! Ich habe Paulus eingeladen, mit mir zu feiern!«, rief er. »Ich wollte nicht, dass er dich dazuholt, und deshalb wirst du uns jetzt nicht den Abend verderben, du Gockel.«
    Paulus fühlte sich wie bei einer misslungenen Vierteilung. Er schaute verdattert vom einen zum anderen und riss sich dann los. Den lieben langen Tag hatte er Heringsfässer geschleppt, noch mehr Lasten auf seinen Schultern mochte er nicht ertragen. Seine Brüder waren älter als er, und doch fühlte er sich, als habe seine Mutter ihm aufgetragen, zwei Kleinkinder zu hüten.
    »Ihr Holzköpfe!«, rief er. »Das war ein törichter Gedanke von mir, genauso töricht, wie ihr beiden offenbar seid. Vergesst, dass ich den Abend mit euch verbringen wollte. Vergesst, dass ich euch versöhnt unter meinen Gästen wissen wollte, wenn ich meine Liebste zum Weib nehme. Meinetwegen prügelt euch, reißt euch die Haare aus oder bohrt in der Nase, aber vergesst es.«
    Paulus ließ sich schwer auf eine Kiste sinken. Er war enttäuscht und gekränkt, und das zeigte Wirkung bei seinen Brüdern. Wenigstens gaben sie für einen Augenblick Ruhe.
    »Hurensohn«, sagte Matthias zu Barthel und grinste dabei.
    Barthel sah verkniffen zu ihm hinüber, als versuchte er herauszufinden, ob die Beleidigung ernst gemeint war oder ob sie nur neckisch daherkommen sollte, um die angespannte Stimmung zu lösen. Er zuckte mit den Schultern.
    »Selber Hurensohn«, gab er im gleichen Tonfall zurück, und für einen kurzen Moment grinsten sie beide. Nach einem Räuspern wandte Barthel sich wieder Paulus zu. »Hör zu, Bruderherz. Ich habe mich über deine Einladung sehr gefreut, und dein wahres Ansinnen ehrt dich. Aber es wäre besser gewesen, mich vorher um meine Meinung zu fragen, anstatt mich derart zu überrumpeln und meine Zeit zu vergeuden. Ich kehre nun heim zu Bärbel, die ich nur schweren Herzens heute Abend allein gelassen habe. Sie kann jederzeit niederkommen. Es ist fast so dunkel, dass man die Hand nicht mehr vor Augen sieht. Allerhöchste Zeit für mich.«
    Paulus sah von der Kiste auf. »Er ist dein Bruder.«
    »Halbbruder.«
    »Wir sind die drei Apostel.«
    »Wenn du bibelfest wärest, wüsstest du, dass die Apostel in die Welt ausgesandt wurden. Sie sind ihrer Wege gegangen. Nicht miteinander, sondern jeder für sich. Wir sollten ihrem Beispiel folgen.«
    »Doch sind sie im Frieden auseinandergegangen«, sagte Paulus eindringlich. »Seid gute Christenmenschen und lasst uns wenigstens einmal zusammen anstoßen.«
    Diese Mahnung blieb nicht ungehört. Bei Barthel nicht, weil er sich für einen guten Christen hielt, bei Matthias, weil er jede Gelegenheit nutzte, anstoßen zu können. Matthias trat hinter den Kistenstapel und holte einen weiteren Krug hervor.
    Paulus nickte dankbar. »Noch solch ein glücklicher Zufall?«
    »Der liebe Gott meint es gut mit den Gerechten«, sagte Matthias, setzte den Krug an seine Lippen, trank und reichte ihn an Barthel weiter. Der blies die Backen auf, tat einen Zug – und verzog das Gesicht.
    »Vermutlich ebenfalls Pferdepisse«, sagte Matthias. »Trotzdem prost.«
    Paulus nahm den Krug und hob ihn feierlich hoch. »Möge der Rhein von nun an bis zum nächsten Winter frei von Eisgang sein, damit Barthel sich nicht um seine Mühle sorgen muss. Und mögen alle Tage bis zum nächsten Vitalistag so warm werden wie dieser, damit Matthias die Nächte überlebt.«
    Bevor Paulus selbst aus dem Krug trank, sagten die drei Brüder gemeinsam

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