Domfeuer
Dom in den Abendhimmel. Von dort sollte Burkhart kommen. Ob es Schwierigkeiten gab? Sollte er nachsehen gehen?
Gerhard hasste es, wenn etwas nicht nach Plan lief. In seinem Leben geschahen gerade zu viele zu wichtige Dinge, als dass er irgendetwas dem Zufall überlassen konnte. Vor wenigen Monaten erst hatte er das Domkapitel überzeugen können, dass er der richtige Mann für das größte Bauvorhaben der Christenheit war. Wie hatten die hohen Herren gestaunt, als er auf dem Fußboden des Kapitelsaals im alten Dom seinen Bauriss ausbreitete. Elf große Pergamentblätter hatte er aneinandergefügt, viele weitere kleine hinzugelegt. Er hatte eine Tür aufstoßen müssen, damit die Spitze wenigstens eines der beiden Türme auf seinem Plan nicht gegen die Wand lehnte. Mit offenen Mündern drängten sich die Domherren um den Fassadenriss. Eine schönere und leichter emporstrebende Kirche im neuen Stil hatten sie von ihm gefordert, weit größer noch als jene Kirchen, die die Franzosen gerade im Begriff waren zu bauen. Was er ihnen zeigte, übertraf ihre Erwartungen. Unter Beifall hatten sie ihn zu ihrem Dombaumeister gekürt. Ihn, Gerhard von Rile.
Seine Reisen durch ganz Europa zahlten sich jetzt aus, all seine Lehrjahre auf den Baustellen in Frankreich warfen nun einen Zins ab, auf den er lange nur hatte hoffen dürfen. Er hatte das höchste und schönste Amt inne, das er sich wünschen konnte. Nun trug er den neuen Dom auf seinen Schultern. Doch diese Verantwortung lastete schwer.
Gerhard lockerte den Kragen. War es wirklich noch so warm, oder trieb ihm die Ungewissheit über Burkharts Verbleib die Hitze in den Kopf? Was er so kurz vor dem großen Tag am wenigsten gebrauchen konnte, war ein unzuverlässiger Werkmeister. Die Disziplin auf der Baustelle ließ ohnehin zu wünschen übrig. Seit Wochen schon verschwand Material, vor allem Reisig, Holz, Pech und andere Dinge, die sie für den Brandabbruch dringend benötigten, aber auch Werkzeug.
Zuerst hatte Gerhard die Diebstähle auf die Not der Menschen geschoben, denen im Winter Brennholz fehlte. Sobald der Frühling Einzug hielt, so hatte er gehofft, würden die Diebstähle aufhören.
Nun war der Frühling gekommen, aber die Diebstähle endeten nicht. Seit über einer Woche schon war es sommerlich warm, und Gerhard fragte sich, wer bei dieser Witterung Reisig in solchen Mengen benötigte. Er ließ Wachen aufstellen, denn er brauchte die Brennstoffe dringend, um die Stollen unter dem Ostchor des Doms zu füllen. Ohne Erfolg. Da er die Wachmannschaften aus seinen Handwerkern zusammenstellte, war nun gewiss, dass er die Diebe unter den eigenen Leuten suchen musste.
Gerhard hoffte inständig, dass nicht auch noch Burkhart ihn enttäuschte. Er war auf den Maulwurf angewiesen. Gerhard war Baumeister, ein Schöpfer und Former, ein Erfinder und Gründer, kein Zerstörer wie Burkhart. Und einen Zerstörer brauchte er, damit der alte Dom dem neuen wich. Heute Abend wollten sie die letzten Vorbereitungen besprechen, die morgen zu treffen waren.
»Gerhard?«
An Gudas Tonfall hörte er, dass sie ihn schon mehrmals gerufen haben musste. Nun stand sie neben ihm und rieb die Hände an ihrer Schürze ab.
»Wo bist du nur schon wieder mit deinen Gedanken?«
Er lächelte sie an.
»Du sorgst dich wieder, stimmt’s?«
Sie kannten sich erst kurz, doch vermochte er sie nicht mit einem Lächeln zu täuschen. »Ich sorge mich nie, teure Guda, ich plane. Wer plant, braucht sich nicht zu sorgen.«
»Sei nicht so hoffärtig, Gerhard. Du weißt doch, was in der Heiligen Schrift steht. Des Menschen Herz plant seinen Weg, doch der Herr lenkt seinen Schritt.«
»Dann brauche ich mich erst recht nicht zu sorgen, denn ich baue dem Herrn sein prächtigstes Haus auf Erden. Er wird nirgendwo anders mehr einkehren wollen als in Köln. Also wird er mit Wohlwollen auf seinen Diener herabschauen.«
»Du sorgst dich um Burkhart.«
Gerhard atmete schwer aus. »Ja.«
»Dann los, schau nach ihm. Das Huhn wird es verschmerzen, wenn es ein wenig länger auf euch beide warten muss.«
Gerhard drückte ihr einen Kuss auf die Stirn. »Ich bin gleich wieder da«, sagte er und streichelte zärtlich ihren Bauch. »Ruh dich bis dahin ein wenig aus. Du trägst meinen Sohn unter deinem Herzen.«
Guda kicherte. »Du kannst nicht einmal wissen, ob ich guter Hoffnung bin. Wie kommst du nur darauf, dass ich dir einen Sohn schenke?«
»Weil ich plane, teure Guda. Wir werden ihn Wilhelm nennen.«
Meister
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