Domfeuer
albern er klang. Wie ein kleiner Junge, der sich mit seinem Bruder um ihre Klicker balgte. Das Gruit war offenbar noch nicht ganz aus seinem heiß kochenden Blut verdunstet.
Barthel hingegen grinste. Mangelnde Reife war immer schon einer seiner Lieblingsvorwürfe gegen Matthias gewesen, selbst als sie noch Kinder und in der Obhut ihrer Amme waren. Aber das Grinsen machte schnell einem angeekelten Ausdruck Platz. »Alle Teufel der Hölle, was stinkt hier derart zum Himmel?«
Nun setzte Matthias ein überhebliches Lächeln auf. »Nicht was, Barthel, die Frage lautet: Wer stinkt hier? Such dir einen aus. Paulus riecht nach Fisch und ich nach harter Arbeit.«
»Wenn Arbeit stinken würde, hieltet ihr beiden es neben mir bestimmt nicht aus. Nein, nein, das ist etwas anderes. Du wirst doch nicht etwa …«
Barthels Ehrfurcht vor Matthias’ beeindruckender Gestalt war wie fortgeblasen. Nun standen sich wieder zwei Brüder gegenüber, die am liebsten im Schlamm raufen würden. Mit flinken Griffen tastete Barthel Matthias ab, doch der stieß ihn weg.
»Du brauchst nicht zu suchen, du brauchst nur zu fragen. Vor meinen feinen Brüdern habe ich keine Geheimnisse.« Matthias zog geräuschvoll die Nase hoch, fingerte im Ärmel seines Hemds herum und zog einen länglichen Gegenstand hervor.
Beim Anblick des Knochens, an dem ein Rest faulenden Fleisches hing, wich Barthel zurück und hielt sich die Hand vor Mund und Nase. »Himmel, das ist ja ekelhaft!«
Aus und vorbei. Paulus ließ alle Hoffnung auf den Familienfrieden fahren. Matthias hatte soeben nichts anderes getan, als seine Betrügereien offen zuzugeben. Ein Grund mehr für den grundehrlichen und gesetzestreuen Barthel, den Bruder in die ewige Verdammnis zu wünschen. Wie Matthias beim Betteln vorging, wusste niemand besser als Paulus. Sie hatten lange genug unter einer Decke gesteckt. Das Betteln war für sie kein einträgliches Geschäft gewesen, denn die Menschen hatten ihnen nie genug gegeben, als dass sie richtig satt geworden wären. Um in der Masse der Bettler nicht unterzugehen und um zu überleben, mussten sie mogeln wie so viele andere auch. Sie hatten sich lahm, blind oder taub gestellt. Ein verwesendes Stück Aas, das aus Matthias’ Ärmel oder seinem Hosenbein lugte, erweckte den Eindruck, bei seinem Besitzer handele es sich um einen bedauernswerten Krüppel. Und es weckte das Mitleid von möglichen Spendern. Aber es weckte auch das Misstrauen von Ordnungshütern. Bettler, die ihre Verkrüppelung nur vorgaukelten, mussten fürchten, genau jenes Körperteil zu verlieren, das sie angeblich gar nicht besaßen oder das schon von Würmern zerfressen wurde.
Matthias war immer der Anstifter gewesen, der Erstgeborene. Ihm war Respekt zu zollen, und deshalb war Paulus stets still und folgsam geblieben. Was sie taten, empfanden sie auch nicht als Unrecht. Sie stahlen schließlich nichts, zumindest nicht, wenn der Hunger es ihnen nicht ausdrücklich befahl und sich kein Hühnerbein oder Honigkuchen erfrechte, auf einem der Märkte allzu keck aus einem Korb zu lugen. Nein, sie taten, was wohl alle Bettler taten, die nicht gerade wirklich krank an Gliedern oder Geist waren. Sie halfen sowohl ihrem Glück als auch dem ihrer Almosengeber ein wenig nach. Denn Schaden nahm ob ihrer kleinen Mogelei niemand, im Gegenteil. Ihre Spender waren froh, einer armen Seele – und damit ihrer eigenen – geholfen zu haben. Halbwegs anständige Bettler boten eine Gegenleistung. Paulus wenigstens versuchte, die versprochenen Gebete auch tatsächlich gen Himmel zu schicken.
Zu jener Zeit hatte er sich eine stattliche Sammlung von Schutzheiligen zusammengestellt, aus der er sich gekonnt zu bedienen wusste, wenn er einem großzügigen Menschen als Dank einen guten Wunsch mit auf den Weg geben wollte. Bald schon wusste er die Dienste der Heiligen auch für sich einzusetzen. Heiliger Eustachius, hilf!, dachte Paulus nun und fragte sich, wie Eustachius wohl zu der undankbaren Aufgabe gekommen sein mochte, den Menschen bei harten Familienschicksalen beizustehen.
»Du widerlicher Galgenstrick!« Barthels Gezeter holte Paulus in die Gegenwart zurück. »Wie kannst du es wagen, anständige Leute mit solch einem faulen Zauber hinters Licht zu führen? Ich sollte einen Büttel rufen, damit man dich auf den Turm bringt.«
Matthias zuckte nur mit den Schultern. »Mach dich nur lächerlich, wenn du willst. Jeder Büttel wird mir bestimmt glauben, wenn ich ihm berichte, wie lange ich zwischen
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