Domfeuer
den Richtsatz auf, der für all jene Menschen wichtig war, deren Dasein vom Wetter abhing: »Und friert’s am Tag von Sankt Vital, friert es wohl noch fünfzehn Mal.«
Es hatte nicht gefroren heute. Der Winter hatte sich endgültig verabschiedet. Ein Vitalistag wie dieser war ein Festtag. Betreten standen die drei auf dem Kai, aber die Verlegenheit währte nur einen kurzen Augenblick. Barthel schickte sich an, den Heimweg anzutreten.
»Barthel, geh noch einmal in dich, bitte«, sagte Paulus. »Vielleicht finden wir ja doch einen Weg, alle miteinander auszukommen.«
Barthel sagte nichts, sondern sah ihn nur mitleidvoll an. Dann nickte er und ging davon.
»Alle Teufel der Hölle – was im Namen des Allmächtigen ist das?«, rief Matthias.
Barthel, der den Brüdern schon den Rücken zugewandt hatte, fuhr herum. Er und Paulus reckten ihre Köpfe in die Richtung, in die Matthias blickte. Rheinabwärts schien der Himmel zu brennen.
Ein Treidelzug unter Fackeln.
Selten hatten sie gesehen, dass ein Schiff so spät den Strom hinaufgetreidelt wurde. Aber noch nie hatten sie ein solches Schiff gesehen.
Paulus, Matthias und Barthel eilten den Uferdamm hinab. Das fremdartige Schiff würde weit vor dem Trankgassentor, fast noch bei Sankt Kunibert anlegen müssen, weil sich im Hafen die Schiffe weit zurückstauten. Auf dem Kai herrschten bereits Gedränge und Aufregung. Hafenarbeiter, Schiffsleute, Fischer, Fuhrmänner, Torwächter und Fährleute starrten den Rhein hinab. Das Schiff war weithin zu sehen, nicht nur wegen der Fackeln der Treidelknechte. Das Segel blähte sich bis hoch über dem Mast und trieb das Schiff den Rhein hoch, so schnell, dass die Treidelleinen immer wieder erschlafften und durchs Wasser schleiften.
Paulus stand fassungslos da. Es war ein riesiges Schiff, ein riesiger Treidelzug. Auf dem Segel prangte ein Symbol, das Paulus noch nie gesehen hatte. Ein Kreuz, dessen vier Enden sich öffneten wie Blütenknospen.
»Die müssen verrückt sein«, murmelte er. »Die müssen völlig verrückt sein. Sie haben das Segel gehisst.«
»Oder sie haben es einfach nur sehr eilig«, sagte Barthel. »Vielleicht fürchten sie, erst nach Toresschluss anzukommen.«
»Heilige Hundekacke!« Matthias stieß einen bewundernden Pfiff aus und klemmte seinen Krug unter den Arm. »Wenn sie auffallen wollen, ist ihnen das trefflich gelungen.«
Die Treidelpferde waren diesen Weg schon so oft gegangen, sie wussten genau, dass sie an seinem Ende angekommen waren. Auf dem letzten Stück legten sie sich noch einmal mit aller Kraft ins Geschirr, als könnten sie das Heu im Stall schon riechen.
Auch auf dem Kai brach Geschäftigkeit aus. Jeder hier wusste, dass ein Schiff unter Segel nicht anlegen konnte. Ein Hafenmeister rief Anweisungen, worauf mehrere Hafenknechte einen abgetakelten alten Fährkahn, der seine letzte Fahrt bereits hinter sich hatte und ausgeschlachtet werden sollte, an die hinterste Stelle in der Reihe zogen. Doch das genügte dem Hafenmeister als Schutz für die anderen Schiffe nicht. Mit hochrotem Kopf schwang er sich auf ein Pferd und ritt dem Treidelzug entgegen, der die Anlegestelle fast schon erreicht hatte. Er lenkte sein Ross neben den Kopfreiter der Treidler, redete auf ihn ein, bewegte wild die Arme und zeigte immer wieder auf das Segel. Auszurichten schien er nichts. Die Treidelknechte setzten ihren Ritt unbeirrt und mit gesenkten Köpfen fort. Die Besatzung machte keine Anstalten, das Segel einzuholen.
Die Besatzung?
Paulus reckte den Hals. »Wo ist die Mannschaft?«
Barthel und Matthias hielten ihrerseits Ausschau, und auch einige der Umstehenden versuchten, an Bord des sich nähernden Schiffes Menschen auszumachen. Vergebens.
»Da ist niemand«, sagte Barthel. »Was soll das? Was ist das bloß für ein Schiff? Seht euch doch nur an, wie es gebaut ist.«
»Donnerkeil!« Matthias hob seinen Krug. »Willkommen in Köln.«
Als die Treidelpferde die Anlegestelle erreichten, wich die Menge zur Seite. Weil das Schiff noch immer unter Segel stand, begannen die Treidler, die Taue zu lösen. Das Schiff behielt Fahrt und rauschte auf den Fährkahn zu. Da fiel mit einem Knall das Segel aufs Deck, ohne dass es zuvor gerefft worden war. Jemand musste das Falltau gelöst haben. Der Segler verlor an Geschwindigkeit. Da niemand Taue von Bord auf den Kai warf, nahmen Hafenknechte die Treidelseile auf. Mit geübten Griffen machten sie das Schiff an den Pollern auf dem Uferdamm fest. Während die Menschen
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