Domfeuer
Gerhard trat auf die Straße hinaus und folgte ihr den Domhügel hinauf zur Baustelle.
Goswins Herz schlug bis zum Hals. Kurz bevor sie Köln erreichten, hatte er noch gedacht, es könnte nicht mehr schlimmer kommen, alles würde gut werden. Aber es kam schlimmer. Goswin hatte sich die Besatzung des Geisterschiffes herbeigewünscht, doch als sie fast den Hafen erreicht hatten und tatsächlich ein paar Männer an Deck erschienen, packte ihn die nackte Angst. Die Männer setzten in Windeseile das große Segel.
Das Segel!
Die Mannschaft ging geschickt mit der Takelung um. Sie musste eingespielt sein. Und sie war völlig von Sinnen. Niemand fuhr unter Segel, wenn das Schiff getreidelt wurde. Ein leichtes Drehen des Windes, ein zu lange versäumtes Dagegenhalten des Steuermanns, ein zu spätes Reffen des Segels, und der ganze Zug verschwand im Rhein.
Überhaupt – was war das für ein seltsames Zeichen auf dem Segel? Ein gewöhnliches Kreuz war es gewiss nicht.
Goswin drückte seinen Hab auf das Tau, das am schweren Geschirr seines Pferds festgemacht war. Beim geringsten Anzeichen von Gefahr, und wenn sich nur das Segel ein wenig zu sehr blähte, würde er sein Pferd und sich von diesem Kahn lösen. Lösen und erlösen. Das schwor er sich.
Das hieß jedoch, dass er von nun an den Blick wieder unentwegt aufs Schiff richten musste, ganz gleich, ob dieses Höllenungeheuer von einem Mann auf dem Vorderkastell stand oder nicht. Widerwillig wandte Goswin den Kopf. Der Schein der Fackeln tauchte das Segel in ein dunkelgelbes Licht. Der Wind füllte das schwere Tuch nur leicht. Keine unmittelbare Gefahr also. Und doch bekreuzigte sich Goswin. Vor dem Segel zeichnete sich keine einzige menschliche Gestalt ab. Die Mannschaft war wieder verschwunden, als wäre sie nie an Deck gewesen.
Und auch der Unheimliche war fort. Wie von der Hölle verschluckt. Goswin reckte sich, um weiter hinter die Bordwand zu sehen. Tatsächlich, niemand da. Er wartete nur wenige Augenblicke. Dann stand sein Entschluss fest. Nichts konnte ihn auch nur einen Wimpernschlag länger an dieses Schiff des Teufels fesseln. Er hob sein Schlagmesser, um das Tau zu kappen.
»Das wirst du lassen.«
Goswin erschrak so sehr, dass er aufschrie. Er versuchte, die Hand wegzustoßen, die seinen Arm gepackt hatte. Vergebens, der Griff war zu fest. Als Goswin sah, wer neben ihm ritt, war er wie gelähmt. Sein Hab fiel zu Boden. Er wusste nicht, wie es diesem Dämon gelungen war, während der Fahrt unbemerkt vom Schiff zu gehen. Er wusste auch nicht, woher der Mann diesen riesigen Rappen hatte, der ihn auf leisen Hufen neben Goswins Pferd gebracht hatte. Er wusste nichts mehr, er spürte nur noch Todesangst.
»Lasst mich los!«, schrie er, und alle anderen Treidelknechte drehten sich nach ihnen um.
Eine schallende Backpfeife brachte Goswin zur Ruhe. Der Unbekannte hielt es offenbar nicht für nötig, sich weiter mit ihm zu beschäftigen. Er sah ihn nur an, mit glühenden Augen, deren Blick sich tief und schmerzhaft in Goswins Seele brannte. Dann drückte er seinem Pferd die Sporen in die Flanken. Als er den Zug entlanggaloppierte, duckten sich alle Reiter tief in ihre Sättel. Der Dämon ritt voraus Richtung Köln.
Die Treidelknechte folgten ihm langsam, die schwimmende Festung im Schlepptau.
Am Salzgassentor war Matthias, bevor Paulus sich versah, die Kisten hinabgeglitten und hatte sich vor Barthel aufgebaut. Dessen Forschheit wich schnell, denn Matthias war einen ganzen Kopf größer als er. Die beiden gaben ein seltsames Paar ab. Hier Barthel, den die Vorsehung mit feinen Lederschuhen und edlen Stoffen ausgestattet hatte, nicht aber mit körperlichen Vorzügen, dort Matthias, der von seinem Schöpfer mit einem wohlgeformten Leib beschenkt worden war, nicht aber mit der nötigen Wertschätzung für seine irdische Hülle.
»Sag das noch mal, wenn du Schneid hast.«
Barthel knickte nicht gänzlich ein. Dafür war wohl auch der Zorn in ihm zu stark. Aber seine Stimme verlor an Lautstärke. »Keinen Deut gebessert hast du dich. Geschmeiß bist du und hast einen schlechten Einfluss auf deinen jüngsten Bruder.«
Paulus kletterte nun ebenfalls die Kisten hinunter, um Schlimmeres zu verhindern. Er quetschte sich zwischen die beiden und schob sie auseinander. »Herrgott, reden zwei Brüder so miteinander, wenn sie sich nach langer Zeit wiedersehen?«
»Er hat angefangen«, sagte Matthias und biss sich sogleich auf die Lippe. Zu spät hatte er wohl gemerkt, wie
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