Don Camillo und Peppone
fährt mein Zug.»
Einige Minuten dauerte das Schweigen. Inzwischen wusch sich der Mann das Gesicht im Straßengraben und war jetzt im Begriff, es sich mit seinem Taschentuch abzuwischen.
«Es tut mir leid», sagte Peppone. «Und doch, Sie, ein Professor, ein Akademiker, wie können Sie gegen die armen Landarbeiter sein?»
«Das Gehalt eines Professors ist kleiner als das des letzten unter Ihren Kuhhirten. Außerdem bin ich arbeitslos.»
Peppone schüttelte den Kopf. «Ich weiß. Das hat aber damit nichts zu tun.
Wenn auch der Kuhhirte und Sie dieselbe Nahrungsmenge brauchen, ist des Kuhhirten Hunger anders als Ihrer. Wenn der Kuhhirte Hunger hat, hat er Hunger wie ein Pferd und kann seinen Hunger nicht beherrschen, weil es ihn niemand gelehrt hat. Sie haben es aber gelernt.»
«Mein Kind hat es nicht gelernt.»
Peppone breitete die Arme aus. «Wenn es sein Schicksal ist, dasselbe zu werden, was Sie sind, wird es dies noch lernen.»
«Kommt Ihnen das alles gerecht vor?»
«Ich weiß nicht», sagte Peppone. «Schauen Sie, eines kann ich nicht verstehen. Wie gibt es denn nur so was? Ihr und wir, alle sind wir in derselben Lage. Und trotzdem kommen wir nie dazu, zusammen gegen die anderen zu kämpfen, die zuviel haben.»
«Sie haben es selbst gesagt: weil wir zwar dieselbe Nahrungsmenge brauchen, unser Hunger aber von eurem verschieden ist.»
Peppone schüttelte den Kopf.
«Wenn ich es nicht gewesen wäre, der es gesagt hat, würde man glauben, daß es so ein Philosophenzeug ist», murmelte Peppone.
Und dann gingen sie, jeder seinen Weg, die Geschichte war aus. Und das Problem des Mittelstandes blieb ungelöst.
JULIA UND ROMEO
Wenn man sagte, «er ist einer von der Bruciata», so war damit alles gesagt.
Und wenn einer von der Bruciata im Spiele war, bedeutete dies, daß solche Ohrfeigen flogen, daß sich die Haare lockten. Die Bruciata war ein großer Bodenstreifen, der zwischen Boscaccio und dem großen Damm verlief, und man nannte dieses Feld so, weil es nackte Erde war, als ob Attila über sie gezogen wäre; und man hätte nur dann aus ihr etwas herausgeschlagen, wenn man Dynamit gesät hätte, weil darunter lauter Steine waren und es sich wahrscheinlich um ein Stück des früheren Flußbettes handelte. Giro hatte sie gekauft, als er aus Argentinien zurückgekehrt war, temporibus illis, und arbeitete sich mit ihr tot, hörte aber nicht auf, immer wieder Getreide zu säen.
Inzwischen kamen immer wieder Kinder zur Welt, und als er dann schließlich ein ganzes Heer zum Aushungern im Hause hatte, steckte er die letzten Gelder aus Argentinien in den Ankauf einer Dampfmaschine, einer Dreschmaschine und einer Heupresse, und, da dies die ersten Maschinen in der Gegend waren, hatte er sich schon im Jahre 1908 nicht nur erholt, sondern besaß auch so viele Maschinen, daß er gleichzeitig auf den größten Höfen von drei oder vier Gemeinden dreschen konnte. Damals nannte man ihn schon «Der Alte von der Bruciata», obwohl er nicht älter war als vierzig, denn er hatte schon sechs Söhne, unter denen der Älteste achtzehn Jahre vollendet hatte und bereits ein Mann war wie ein Bär.
Außerhalb Boscaccios grenzte an die Bruciata das Gut von Torretta, und der Besitzer hieß Filotti, der im Jahre 1908 dreißig Stück Vieh und fünf Kinder hatte und sich prächtig entwickelte, weil seine Erde so gut war, daß man nur daraufzuspucken brauchte, und schon sprossen der Roggen und der Weizen für internationale Ausstellungen.
Um nur ungefähr zu schildern, wie es war: Filotti klebte am Geld wie das Fell an der Trommel, um ihm aber eine Lire herauszupressen, hätte sich Gottvater persönlich bemühen müssen. Und trotzdem, nur um sich nicht der Maschinen jener von der Bruciata bedienen zu müssen, gab er lieber dreimal soviel aus und ließ jedes Jahr eine Dampfmaschine vom anderen Ende der Welt kommen. Dummheiten: einmal ein mit Steinwürfen erschlagenes Huhn, ein andermal ein geschlagener Hund. In der Bassa aber, wo die Sonne im Sommer die Schädel spaltet und die Häuser zerdrückt, und wo man im Winter nicht mehr weiß, was Friedhof und was Anwesen ist, genügt ein solcher Blödsinn, um zwischen zwei Familien einen ewigen Krieg zu verursachen.
Filotti war ein Kirchenmensch und hätte lieber seine Familie umkommen lassen, als eine Messe zu versäumen, und der Alte von der Bruciata ruhte am Samstag und arbeitete aus Trotz am Sonntag und ließ immer einen Knaben vor dem Hause Wache halten, der ihm zu melden hatte, wenn
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