Don Camillo und Peppone
zogen die Jacken aus, krempelten die Ärmel hoch und begannen wortlos zu ringen. Schläge von jeweils einer Tonne Wucht hieben langsam und unerbittlich wie Hämmer auf den Amboß. Als sie sich gegenseitig die Knochen gebührend zugerichtet hatten, hörten sie auf und kehrten in ihre Stützpunkte zurück, begleitet von der Gefolgschaft. Die Kinder wurden dann mit der Zeit größer, es gab keine Zwischenfälle mehr und die beiden Alten hörten auf zu raufen. Dann kam der Krieg und raubte sowohl dem einen als dem anderen ein paar Söhne. Dann die Kalamitäten der Nachkriegszeit und so weiter; so vergingen ungefähr zwanzig Jahre und niemand schien mehr an die alten Geschichten zu denken.
Im Jahre 1929 kam Mariolino, der erste Enkel des alten Ciro, darauf, daß in seinem zweiten Lebensjahr ein Mann die moralische Pflicht habe, sich in der Welt ein bißchen umzuschauen, um sich einen Begriff vom Leben zu machen, und begab sich torkelnd auf den Weg. Als er zum Zaun unter den historischen Birnbaum gelangte, setzte er sich nieder. Kurz darauf kam eine kleine Schmutzige von ungefähr gleicher Tonnage angerannt, und es war eine gewisse Gina, auch ungefähr zwei Jahre alt, die erste Enkelin des alten Filotti.
Dort geschah es, daß beide das Alleinrecht über eine halb verfaulte Birne, die vom Baume gefallen war, für sich beanspruchten, und so begannen sie sich die Haare zu raufen und die Gesichter zu zerkratzen. Als sie nicht mehr konnten, spuckten sie sich an und kehrten in die Stützpunkte zurück.
Jede Erklärung erübrigte sich: das ganze Heer saß bei Tisch, und als Mariolino mit dem zerfetzten Gesicht den Raum betrat, wollte sein Vater aufstehen, der alte Ciro winkte aber und nagelte ihn an die Stelle.
Dann stand er auf und, mit Abstand von der ganzen Sippe begleitet, begab er sich zum Birnbaum.
Dort wartete bereits der alte Filotti auf ihn. Beide waren schon über fünfundfünfzig, verprügelten sich aber gegenseitig wie Jünglinge. Da sie aber bemerkten, daß man jetzt mehr als einen Monat dazu brauchte, sich die Knochen wieder in Ordnung zu bringen, geschah es, daß der alte Ciro, als er eines Morgens zur Grenze kam, diese zur Hälfte mit einem Drahtgitter abgesperrt fand. Er versah dann die andere Hälfte mit einem Drahtnetz und man sprach nicht mehr davon.
In den großen Städten bemühen sich die Leute vor allem, originell zu leben, und so entstehen daraus Dinge, wie zum Beispiel der Existentialismus, die aber schon gar nichts bedeuten, sondern nur die Illusion geben, in einer Art zu leben, die sich angeblich von den alten Systemen unterscheidet. Dort aber, in der Bassa, kommt man zur Welt, lebt man, liebt man, haßt man und stirbt man genau nach dem üblichen, konventionellen Schema. Und die Leute pfeifen darauf, wenn sie sich zufällig in eine Angelegenheit verwickelt sehen, die eine genaue Nachahmung von «Promessi sposi» oder von der «Cavalleria rusticana» oder von «Romeo und Julia» und anderen ähnlichen literarischen Produkten darstellt. Es ist also eine ewige Wiederholung banaler Geschichten, alt wie die Weltkugel; wenn man aber den Schlußstrich zieht, enden die Leute von der Bassa genauso unter der Erde, genauso wie die Literaten aus der Stadt, mit dem einzigen Unterschied, daß die Literaten aus der Stadt viel wütender sterben als die Leute auf dem Lande, weil es den Städtischen nicht nur mißfällt, daß sie sterben müssen, sondern daß sie auf banale Art sterben müssen, während den Leuten auf dem Lande ganz einfach mißfällt, daß sie nicht mehr atmen können. Die Kultur ist die größte Schweinerei auf der Welt, weil sie nicht nur das Leben, sondern auch den Tod bitter macht.
Es vergingen Jahre und Jahre. Der zweite Krieg und die zweite Nachkriegszeit. Rot wie Feuer die auf der Bruciata und schwarz wie Kohle jene von der Torretta. So standen die Dinge, als einmal am Abend ein Knecht der Filotti Don Camillo rufen kam.
«Dringende Angelegenheit», erklärte der Knecht. «Kommen Sie sofort!»
Don Camillo ging und fand sich vor der vollständigen Versammlung der Familie und der Gefolgschaft. Sie saßen alle um einen riesigen Tisch und der alte Filotti führte den Vorsitz. «Nehmen Sie, bitte, Platz», sagte er sehr ernst, indem er auf einen leeren Stuhl zu seiner Rechten zeigte, «wir brauchen Ihre geistliche Hilfe.»
Einen Augenblick herrschte Schweigen, dann winkte der alte Filotti, und Gina, Filottis erste Enkelin, betrat das Zimmer. Sie war wirklich ein schönes Mädchen.
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