Don Camillo und seine Herde
lassen.»
«Sie werden diesen Zettel aus dem Schaufenster nehmen und ihn nicht mehr ausstellen!» schrie Peppone.
Die Alte zuckte mit den Achseln.
«Ich bin dreiundachtzig Jahre alt», seufzte sie, «und das ist das erste Mal, daß jemand so unverschämt gegen mich gewesen ist. Nehmen Sie nur den Zettel. Das bedeutet, daß ich die Nummern des Toten nunmehr mündlich verkünden muß.»
Peppone steckte den Zettel in die Manteltasche und ging zur Tür. Dann drehte er sich um.
«Desolina», sagte er mit ruhiger Stimme, «Sie machen das Ganze für irgendeinen Gauner, der sich Ihrer bedient, um uns zu beleidigen. Das ist nicht schön von Ihnen.»
«Ich mache das für niemanden», erwiderte die Alte. «Ich mache es nur für das Lotto. Das sind die Nummern des Toten, und ich werde sie jedem nennen, der mich um sie fragt.»
Peppone schüttelte den Kopf.
«Desolina, Sie halten mich für dumm. Seien Sie aufrichtig! Jemand hat Ihnen diese Nummern beigebracht, vielleicht der Pfarrer... Und was der Pfarrer sagt, ist für Sie das Evangelium, weil Sie zur Kirche halten. Wenn Sie die Nummern des Toten nennen wollen, dann nennen Sie andere Nummern! Nehmen Sie sich in acht!»
«Und wenn ich die Nummern des Toten nennen soll, dann kann ich keine anderen nennen als diese. Das sind die Nummern des Toten!» erwiderte die Alte erbost. «Es gibt keine andern. Bandit, Blut, Verwunderung, Fröhliches Ereignis, 23, 18, 62, 59. Ich verstehe mein Geschäft. Es gibt keine anderen Nummern.»
Später berichtete das Überwachungskommando, daß es vor Desolinas Laden ein großes Gedränge gab. Auch aus den benachbarten Dörfern kamen Leute, die von der Alten die Nummern des Toten mit «Erläuterung» haben wollten.
«Diese Verdammten wollen gar nicht die Nummern, sie wollen nur die Erläuterungen!» rief Smilzo.
«Das geht nicht so weiter!» schrie Peppone, in bestialische Wut gebracht. «Das ist eine unerträgliche Herausforderung! Man muß etwas dagegen tun!»
Brusco, der nur im Notfall sprach, ließ seine Stimme hören.
«Was mich betrifft, ich würde inzwischen auf diese Nummern setzen...»
Peppone sprang auf und faßte ihn an der Brust.
«Brusco», brüllte er, «ich hoffe, du scherzt!»
Brusco breitete die Arme aus.
«Capo, sag, was du willst, bis morgen haben wir Zeit. Ich gehe morgen früh in die Stadt und setze auf diese Nummern, ohne daß jemand etwas davon weiß.»
«Brusco, du jagst mir Angst ein!» sagte Peppone empört.
«Capo», antwortete Brusco. «Politik soll Politik bleiben, Lotto aber Lotto. Ich kümmere mich bei Desolinas Nummern nur um die eine Seite der Sache, die mit dem Lottospiel etwas zu tun hat. Tatsache ist, daß Desolina oft die richtigen erraten hat und sie wirklich herauskommen können.»
«Sie können nicht herauskommen!» brüllte Peppone. «Sie beruhen auf Lüge und schmutziger propagandistischer Spekulation!»
Inzwischen war es Abend geworden, und die Sitzung löste sich ohne weiteres Gerede auf.
Der peinliche Zwischenfall mit Brusco hatte Peppone über alle Maßen aufgeregt, und als er im Bett lag, konnte er nicht einschlafen und wetzte unruhig unter der Decke, als ob er eine lebendige Katze gefressen hätte.
Er hörte die Uhr auf dem Kirchturm die Stunden schlagen. Er hörte alle Stunden schlagen, und als es halb sechs schlug, warf jemand von der Straße einen Stein gegen die Fensterläden.
Peppone schaute zum Fenster hinaus, es war Brusco.
«Capo, brauchst du etwas? Ich geh in die Stadt.»
Peppone warf ihm ein kleines Päckchen zu.
«Terno und Quaterno in allen Kreisen», sagte Peppone mit schlecht verhaltener Wut. Dann schlug er die Fensterläden zu und legte sich wieder ins Bett. Und erst jetzt konnte er einschlafen.
Er stand sehr spät auf und blieb zu Hause. Um halb sieben Uhr abends kam Smilzo dahergelaufen.
«Capo, hast du Radio gehört?»
«Nein.»
«Große Neuigkeiten! Komm sofort ins Parteiheim!»
Als Peppone sein Amtszimmer betrat, kam ihm Brusco ganz aufgeregt entgegen.
«In der Mailänder Runde wurde ein Terno gezogen!»
Peppone wischte sich den Schweiß ab.
«Ich gewinne dreihundertfünfzigtausend Lire!» sagte er. «Und ihr?»
«Dasselbe, wir haben alle dieselben Nummern gespielt wie du.»
«Gut... Stellt euch nur vor, wenn ein Quaterno herausgekommen wäre!» stammelte Peppone. «Welche Nummer ist nicht gezogen worden?»
«Die 62, die Verwunderung!» erklärte Bigio.
«Das konnte man sich vorstellen!» bemerkte Brusco. «Bandit, Blut, fröhliches Ereignis,
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