Don Camillo und seine Herde
Nierenleiden aus.
«Rede keinen Blödsinn!» antwortete Peppone. «Was hat die alte Desolina damit zu tun?»
«Sie hat damit zu tun, denn es ist ihre Schuld, daß die ganze Gegend über uns hellauf lacht.»
Peppone konnte noch immer nicht verstehen.
«Was hat diese Unglückliche denn getan?»
«Sie hat einen Zettel ausgestellt, und alle kommen, um ihn zu lesen.»
«Ein Manifest gegen die Partei?»
Smilzo breitete die Arme aus.
«Capo, das ist schwer zu erklären. Geh zum Haus der Desolina, und du wirst selbst sehen.»
Sie machten sich auf den Weg und standen bald mitten in der Menge, die sich vor dem kleinen Laden der alten Desolina angesammelt hatte und kicherte. Als die Leute Peppone sahen, gingen sie ihres Weges, denn Peppone machte ein Gesicht, das nichts Gutes versprach, und alle trugen diesem Umstand Rechnung.
Im Schaufenster des kleinen Ladens war von innen ein Zettel angebracht, und als Peppone las, was auf dem Zettel geschrieben stand, ballte er die Fäuste und ging hinein.
Desolinas Laden war ein Loch, in dem man sich kaum rühren konnte; ein schlecht zusammengezimmerter Ladentisch und ein Gestell mit vier bunten Schachteln bildeten das gesamte Inventar des Unternehmens. Das Warenlager bestand aus einigen Käsestücken, einigen Knopfkartons, ein paar Nadelbriefen, einem Bund Schuhbänder, zwei Gläsern mit bunten Karamellen usw.
Desolinas kleiner Laden war wegen einer Spezialität wichtig, für die sie das Monopol für die ganze Gegend besaß.
Desolina war nämlich imstande, aus jedem beliebigen Ereignis und jedem beliebigen Traum die besten Lottonummern herauszufinden; und so besuchte ein Haufen Leute Desolinas Laden. Und nicht umsonst, weil die Alte mehr als einmal die Nummern richtig erraten hatte.
Als sie Peppone eintreten sah, hob Desolina die Augen. Sie war eine ruhige alte Frau, die sich über nichts wunderte und nicht aus der Ruhe zu bringen war.
«Hören Sie einmal», meinte Peppone. «Was bedeutet dieser Zettel im Schaufenster?»
«Das steht darauf geschrieben», erklärte die Alte. «Es sind die Nummern des Toten.»
«Und warum haben Sie den Zettel mit den Erklärungen ausgestellt?» erkundigte sich weiter Peppone.
Die Alte schüttelte den Kopf.
«Es war ein ständiges Aus und Ein. Alle wollten die Nummern des Toten und die Erläuterung der Nummern wissen. Es war nicht mehr auszuhalten. Da hab ich den Zettel mit den Nummern und den Erklärungen ausgestellt.»
Smilzo mengte sich ein.
«Das ist keine Erläuterung, das ist eine Herausforderung!» rief er.
Die Alte schaute ihn verwundert an. Sie nahm den Zettel aus dem Schaufenster und legte ihn auf den Ladentisch.
«Für mich ist alles klar», sagte Desolina und las den Zettel laut vor.
«Die Nummern für Stalins Tod: 23 - Bandit; 18 - Blut; 62 -Verwunderung; 59 - Fröhliches Ereignis.»
Desolina schaute zu Peppone auf.
«Was finden Sie daran auszusetzen? War er ein Bandit oder nicht? Und wenn er ein Bandit war, dann ist 23 die richtige Nummer.»
«Reden Sie keinen Blödsinn!» schrie Peppone. «Er war der größte Ehrenmann auf der Welt, er hat eine Menge Gutes für die Armen getan!»
Die Alte schüttelte den Kopf.
«Er war exkommuniziert, ein Gottloser, ein Antichrist, der viele Priester und viele Leute, die nicht so dachten wie er, umgebracht hat. Er war also ein Bandit, und seine Nummer ist 23. Und weil er ein Bandit war und weil er Millionen von Menschen hat umbringen lassen, ist die zweite Nummer 18, weil die zweite Nummer Blut bedeutet. Und die dritte Nummer ist 62, was Verwunderung bedeutet. Tatsächlich waren alle Leute über seinen Tod verwundert. Wer gegen ihn war, wunderte sich, daß ihn der liebe Gott so lange hat leben lassen. Die Leute von seiner Partei waren verwundert, daß eine so allmächtige Person sterben kann wie ein ganz gewöhnlicher Mensch. Und dann ist noch das fröhliche Ereignis da: Wenn der Tod eines solchen Kerls kein fröhliches Ereignis ist, was soll dann überhaupt die Welt noch erfreuen? Es genügt übrigens, mit den Leuten zu sprechen, um zu sehen, wie sie alle zufrieden sind. Darum ist die vierte Nummer 59 und bedeutet: Fröhliches Ereignis.»
Peppone schäumte vor Wut. «Desolina, wenn ich wollte, könnte ich Sie verhaften lassen!» rief er. «Das ist eine schamlose Verleumdung, eine schmutzige politische Herausforderung!»
«Das sind die Nummern des Toten», erwiderte ruhig das alte Weiblein. «Wer sie spielen will, soll sie spielen, und wer sie nicht spielen will, soll es bleiben
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