Don Camillo und seine Herde
das hatte einen Sinn. Die Verwunderung war aber schlecht! Was gibt es da schon zu wundern, wenn eines Tages ein alter Mann stirbt?»
Lungo bekam den Befehl, Türen und Fenster zu verrammeln und etwas zu essen und trinken zu holen.
Sie aßen und tranken in Peppones Arbeitszimmer, und um ein Uhr nachts aßen und tranken sie noch immer.
Schlag eins schenkte sich Smilzo ein Glas ein und erhob sich.
«Trinken wir auf die Gesundheit unseres großen Vaters!» rief er mit feierlicher Stimme. «Denken wir daran, daß wir unseren Terno nicht gewonnen hätten, wenn er nicht gestorben wäre!»
«Er ist nicht tot, denn sein Werk lebt weiter und ist ewig!» ergänzte Peppone und hob sein Glas. Dann fuhr er fort, den Rest des Schinkens aufzuschneiden.
Diese Nacht wehte ein heftiger Wind durch die Straßen. Aber er kam nicht von der Steppe. Es war ein heimatlicher Wind.
Menelik
Giaròn, der Fuhrmann, war in der Gegend bekannt wie das schlechte Geld, und man war sich im Dorf über Giaròn einig, mit einer Ausnahme: Man wußte nicht, wer ein größeres Vieh sei, er — oder sein Pferd.
Groben Menschen entfährt, wenn sie sprechen, gerne ein Fluch; Giaròn hingegen war ein Mensch, dem beim Sprechen nur hie und da ein ordentliches Wort entschlüpfte, weil sein Wortschatz ausschließlich aus Flüchen bestand und Flüche bekanntlich keine Wörter sind.
Giaròn hatte herrliche Tage gesehen und neun prachtvolle Zugtiere besessen: sechs Pferde und drei Söhne. Wenn sich jemand in jenen Zeiten mit einem Karren, Fahrrad oder Auto auf die Straßen der Gegend und der Umgebung begab, mußte er jedesmal den lieben Gott bitten, ihm eine Begegnung mit einem von den Giaròns zu ersparen.
Mit Ausnahme der Landstraße waren alle Straßen der Bassa mehr oder weniger ungepflegte Feldwege, und jeder Giaròn dachte so: «Wenn die Straße kaum für mich ausreicht, warum bildest du dir ein, sie zu benützen? Laß mich schlafen - und schau selbst, wie du weiterkommst!»
Es war eine schlimme Sache, einen Giaròn zu wecken, wenn er einmal oben auf einer Schotter- oder Sandladung auf seinem Wagen schlief. Eine schlimme Sache, weil alle Giaròn aus demselben verdammten Holz geschnitzt und wegen nichts und wieder nichts stets bereit waren, mit dem Peitschenstiel loszuschlagen oder mit den Schaufeln herumzufuchteln.
In jenen Zeiten dachten übrigens nicht nur die Giaròn so. Für alle Fuhrleute war es eine Ehrensache, nicht von der Straße zu weichen und niemandem den Weg frei zu machen. Das war nicht einmal Bosheit oder Rücksichtslosigkeit. Wenn ein Fuhrwerker vom Fluß daherkam, nachdem er den Karren mit Sand oder mit Schotter beladen hatte, glaubte er, ein Recht darauf zu haben, in Ruhe gelassen zu werden. Er streckte sich oben auf seiner Ladung auf dem Bauch aus, und während ihm die Sonne den Rücken briet, schlief er und ließ alles übrige das Pferd besorgen. Und das Pferd zog den Karren und besorgte alles selbst, wie es sich gehörte.
Die Pferde der Fuhrleute waren brave Tiere, die bravsten Tiere auf der Welt, und die Leute waren sich darüber einig, daß sie weniger viehisch waren als ihre Herren. Nur beim Pferd des Vaters Giaròn waren sich die Leute im unklaren. Das Pferd des Vaters Giaròn beschränkte sich nämlich nicht darauf, den Karren seine Straße weiterzuziehen, wenn sein Herr schlief. Jedesmal, wenn es an einem Wirtshaus vorbeikam, blieb es stehen und rührte sich nicht, bevor Giaròn aufwachte.
«Nein», pflegte immer Don Camillo zu sagen, «für mich ist Giaròn ein größeres Vieh als sein Pferd, weil er dem Pferd angewöhnt hat, vor jedem Wirtshaus stehenzubleiben. Das Pferd tut nur, was man ihm beigebracht hat.»
«Für mich ist Giaròns Pferd das größere Vieh», pflegte man zu antworten, «denn ein Pferd hätte, auch wenn es ein Vieh ist, doch die moralische Pflicht, vernünftig zu sein, wenn schon bei seinem Herrn die Vernunft nicht funktioniert. Ein Pferd, das nicht ein größeres Vieh als Giaròn selbst ist, würde nicht vor jedem Wirtshaus stehenbleiben und seinen Herrn zwingen, aufzuwachen und herabzusteigen, um sich mit Wein vollzusaufen.»
Sonderbare, ja leichtfertige Gespräche, wenn man will, aber sie lassen erkennen, von welchem Schlag Giaròn war und von welcher Art die Söhne eines solchen verfluchten Kerls sein mußten.
Giaròn hatte also herrliche Tage gesehen, bis eines Tages das große Unglück hereinbrach. Als er eines Abends nach Hause kam, merkte er, daß sich die Söhne anders benahmen als sonst.
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