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Don Camillo und seine Herde

Don Camillo und seine Herde

Titel: Don Camillo und seine Herde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Giovannino Guareschi
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Tag denselben Gedankengängen, denn er war übler Laune, die mit jedem Tag schlechter wurde. Das war die einzige Neuigkeit.
    Inzwischen geschah im Dorf am Ufer des großen Flusses nichts Besonderes. Es ereigneten sich aber manche sonderbaren Kleinigkeiten, die auch Don Camillo mißfallen hätten, wenn er etwas von ihnen gewußt hätte.
    Das Priesterlein, das während des politischen Erholungsurlaubs Don Camillos Pfarre zu leiten hatte, war ein recht braver Kerl. Trotz seiner theoretischen Gelehrsamkeit und seiner glatten, wohlgesetzten städtischen Ausdrucksweise verstand er es, sich rasch der neuen Umgebung anzupassen; er bemühte sich nach Kräften, allen zu zeigen, daß er begriffen habe, welcher Wind hier weht und von welcher Seite man die Leute anpacken muß. Und die Leute, ob rot oder weiß, grün oder schwarz, erwiderten seine Höflichkeit und fanden sich zahlreich in der Kirche zum Gottesdienst ein, ohne aber weitere Zugeständnisse zu machen.
    Niemand ging mehr zur Kommunion. «Nehmen Sie es uns nicht übel, Hochwürden», erläuterten sie dem entsetzten Priester, «wir sind aber seit undenklichen Jahren an ihn gewöhnt. Wenn er zurückkommt, werden wir auch wieder zur Kommunion gehen. Sie brauchen keine Angst zu haben, wir werden schon alles nachholen.»
    Niemand heiratete mehr, alle Hochzeiten wurden auf den Tag verschoben, an dem er zurückkommen werde.
    Es schien, als ob man übereingekommen wäre, daß auch niemand geboren werden oder sterben dürfe, bevor Don Camillo heimkehrt, weil seit Don Camillos Abschied tatsächlich niemand auf die Welt gekommen war und niemand diese Welt verlassen hatte, um in eine andere einzugehen. Und diese merkwürdige Geschichte dauerte viele Monate. Schließlich kam dann doch eines Tages ein Weiblein in den Pfarrhof und meldete, daß der alte Tirelli im Sterben läge. Das Priesterlein schwang sich auf das Fahrrad und eilte zum Sterbebett Tirellis.

    4

Der alte Tirelli

    Der alte Tirelli hatte so viele Jahre auf dem Buckel, daß auch ein Buchhalter an einer Bank müde geworden wäre, sie zu zählen. Er wußte nicht einmal selbst, wie viele es waren; er war alt geworden, ohne sich jemals erkältet zu haben. Und jetzt - alles wegen dieser verfluchten Atombombe, die alle Jahreszeiten auf den Kopf gestellt hatte - erwischte ihn eine Erkältung, die sich auf die Lunge schlug. Nun lag er auf dem Sterbebett und bereitete sich darauf vor, den irdischen Verwaltungsbezirk zu verlassen.
    Bevor das Priesterlein das Krankenzimmer betrat, sprach es mit dem Arzt, der gerade herauskam.
    «Ein ernster Fall, Herr Doktor?»
    «Er ist schon tot», sagte der Arzt. «Vom wissenschaftlichen Standpunkt ist er tot; ja, mehr als tot. Er atmet zwar noch, das ist aber ein Verstoß gegen die medizinische Wissenschaft.»
    Das Priesterlein begab sich in das Zimmer des alten Tirelli, setzte sich am Kopfende des Sterbenden nieder und murmelte ein Gebet.
    Der Alte machte die Augen auf und schaute ihn lange an. «Danke schön», sagte er schließlich mit schwacher Stimme. «Ich warte lieber.»
    Das Priesterlein spürte, wie ihm der Schweiß auf der Stirne stand.
    «Wenn Euch Gott schon noch etwas Leben schenkt, müßt Ihr Euer Gewissen in Ordnung bringen», rief das Priesterlein.
    «Ich weiß schon», erwiderte der Alte. «Ich warte aber, bis er zurückkommt.»
    Das Priesterlein konnte mit einem Sterbenden nicht zu streiten beginnen. Es beschwor die Verwandten, die im anderen Zimmer warteten; sie wußten besser als er selbst, wie es um den Alten stand, und daß es geradezu ein Wunder war, daß er überhaupt noch atmete. Alle bemühten sich, ihn zur Beichte zu bewegen. Die Verwandten sprachen lange auf den Alten ein; sie erklärten ihm ganz offen, was der Arzt über ihn dachte, und der Alte, der zum Doktor großes Vertrauen hatte und der trotz seines vom wissenschaftlichen Standpunkt aus bereits eingetretenen Todes immer noch imstande war, mit seinem gewöhnlichen gesunden Hausverstand zu denken, antwortete:
    «Schon, schon, ich weiß: Die Lage ist sehr ernst. Man darf keine Minute verlieren. Beeilt euch, Don Camillo zu holen, denn ich will diese Welt mit ruhigem Gewissen verlassen.»
    Man anwortete ihm vor allem, daß Don Camillo seine Pfarre nicht verlassen könne, um dem alten Tirelli die Beichte abzunehmen und ihn zu segnen. Außerdem müßte man, wenn er auch darauf eingehen sollte, ihn dort oben abholen und herunterbringen. Das würde viele Stunden dauern, hier ginge es aber um Minuten.
    Der Alte

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