Don Camillo und seine Herde
Sie zweitausend Jahre hierbleiben wollen, mich stören Sie nicht im geringsten.»
«Danke», hauchte der Alte.
Es war ein schöner Tag. Der Himmel war wie mit Anilinfarben gemalt, und die Sonne war warm. Don Camillo machte das Fenster weit auf und ließ den Alten, der eingeschlafen war und zu lächeln schien, in Frieden.
«Jesus», sagte Don Camillo zu Christus. «Heute ist etwas geschehen, etwas so Großes, daß ich noch nicht verstanden habe, was es eigentlich ist.»
«Strenge dein Hirn nicht an, Don Camillo», antwortete Christus. «Es gibt Dinge, die man nicht verstehen muß. Denk jetzt an deinen Alten, vielleicht braucht er dich.»
«Er braucht mehr Dich als mich», rief Don Camillo.
«Genügt es dir nicht, daß er lebend bis hier gekommen ist?»
«Mir genügt immer, was Gott gibt. Wenn mir Gott den kleinen Finger zeigt, werde ich nicht gleich die ganze Hand an mich reißen... Manchmal hätte ich Lust dazu.»
Don Camillo erinnerte sich plötzlich, daß die beiden Tirelli vor der Tür warteten, und eilte zu ihnen.
«Jetzt hat er sein Gewissen in Ordnung gebracht und schläft», erklärte Don Camillo. «Macht, was ihr wollt.»
«Ich würde hierbleiben», sagte der Enkelsohn. «Das Wunder ist nun vollbracht, wir können nicht erwarten, daß noch eines geschieht. Ich mache einen Sprung hinunter und sage den Leuten vom Krankenauto, sie sollen auf uns warten. Wir werden ihn dann wieder hinuntertragen und auf unserm Friedhof begraben.»
Don Camillo kam nicht dazu, dem Jungen klarzumachen, daß der Alte hier begraben zu werden wünsche; der ältere Tirelli wandte sich an seinen Sohn und sagte zu ihm mit strenger Stimme:
«Lauf hinunter und sag den Leuten vom Krankenauto, sie können gehen. Und warte auf mich, wir fahren zusammen nach Hause.»
Der Jüngling lief davon, und der Mann wandte sich zu Don Camillo.
«Tun Sie nur, was Ihnen recht scheint», murmelte er.
5
Gina und Mariolino
Don Camillo verbrachte die Nacht am Sterbelager des alten Tirelli. Als er gegen Morgen in die Kirche zur Messe mußte, weckte er die Alte, die seinen Haushalt besorgte, und ließ sich von ihr ablösen. Nach der Messe ruhte er sich einige Stunden aus, und als er sich vergewissert hatte, daß der Alte noch lebte, ging er aus, weil er zur Hütte beim Brunnen gehen und dem Buben, der ein Bein gebrochen hatte, etwas bringen wollte.
Auf dem Heimweg hörte er, wie ihn jemand grüßte.
«Guten Tag, Hochwürden.»
Und als er aufschaute, sah er ein Mädchen, das ihm von einem Fenster im ersten Stock zulächelte. Einen Augenblick verzog er das Gesicht, als ob er nicht verstehen wollte; dann mußte er verstehen und fragte:
«Was machst du da?»
Neben dem Kopf des Mädchens erschien das weniger liebenswürdige Gesicht eines jungen Mannes.
«Wir sind hier auf Urlaub», sagte der Jüngling. «Muß man vielleicht vorher beim Herrn Priester um Erlaubnis ansuchen, wenn man auf Urlaub gehen will?»
Don Camillo schüttelte den Kopf.
«Junger Mann, nimm dich in acht! Wenn du etwa die Absicht hast, dich hier schlecht aufzuführen, hast du dich in der Adresse geirrt. Hier ist die Luft für dich und für deinesgleichen schlecht.»
Der Jüngling zog sich schimpfend zurück, das Mädchen blieb aber ruhig am Fenster und lächelte weiter.
«Wir werden Sie besuchen kommen, Hochwürden», sagte das Mädchen.
«Ihr seid wirklich liebe Leute, ihr kommt mich aber nur besuchen, wenn ich euch rufe», rief Don Camillo und drehte ihr den Rücken.
Unterwegs murmelte er weiter: «Was haben sie nur hier zu suchen, diese zwei Heiden? Welches neue Unheil haben sie nur angestellt?»
Das neue Unheil, das Mariolino von den Bruciata und Gina Filotti angestellt hatten, war alles eher als gering.
Das, was sie angestellt hatten, war die unmittelbare Folge des ersten großen Unheils, in das sie seinerzeit zweimal Don Camillo hineingezogen hatten, als sie zum Sumpf mit der versunkenen Kapelle durchgebrannt waren, um Selbstmord zu begehen, und als sie in der Kirche erschienen waren, um getraut zu werden.
Seit dem Tag, an dem Mariolino und Gina geheiratet hatten, war nunmehr einige Zeit vergangen, und eines Abends hatten die beiden unglückseligen jungen Leute die ernsthafte Frage angeschnitten.
«Ich sage dir, es wird ein Bub, und das freut mich, weil ich weiß, daß du dir ein Mädchen wünschst», sagte Gina.
«Ich weiß, es wird ein Mädchen sein, und das freut mich, weil ich weiß, daß du dir einen Buben wünschst, genauso wie deine ganze
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