Don Juan 04 - Der Ring der Kraft. Don Juan in den Städten
»Der Mensch ist nur Geist!« Er griff zur Chiliflasche hob sie hoch. Dann stellte er sie hin. »Wie du siehst«, sagte er leise, »können wir ohne weiteres Chiliflasche für Geist einsetzen und schließlich feststellen: Der Mensch ist nur Chilisoße! Wenn wir dies tun, machen wir uns nur noch verrückter, als wir schon sind.«
»Ich fürchte, ich habe nicht die richtige Frage gestellt«, sagte ich. »Vielleicht verstünden wir uns besser, wenn ich fragte, was sich im einzelnen in diesem Raum außerhalb der Insel befindet?«
»Das zu beantworten ist unmöglich. Würde ich sagen: Nichts, dann würde ich das Nagual nur zu einem Teil des Tonal machen. Man kann nichts anderes sagen, als daß man dort, jenseits der Insel, das Nagual findet.«
»Aber wenn du es das Nagual nennst, bringst du es dann nicht ebenfalls auf der Insel unter?«
»Nein. Ich habe ihm nur einen Namen gegeben, weil ich dich darauf aufmerksam machen wollte.«
»Na schön! Aber indem ich darauf aufmerksam werde, tue ich doch den Schritt, der das Nagual zu einem weiteren Gegenstand meines Tonal macht.«
»Ich fürchte, du verstehst nicht. Ich habe das Tonal und das Nagual als ein echtes Paar benannt. Etwas anderes habe ich nicht getan.«
Er erinnerte mich daran, daß ich einmal, als ich ihm erklären wollte, warum mir so viel am Sinn der Wörter gelegen sei, die Vorstellung erörtert hatte, daß Kinder vielleicht nicht imstande sind, den Unterschied zwischen »Vater« und »Mutter« zu verstehen, bevor sie nicht eine Entwicklungsstufe erreicht haben, auf der sie mit Sinn umgehen können, und daß sie vielleicht glauben konnten, »Vater« bedeute, >Hosen tragen<, und »Mutter« bedeute, >Röcke trägem - oder andere Unterschiede hinsichtlich Haartracht, Körpergröße oder Kleidung. »Sicher tun wir dasselbe mit unseren zwei Teilen«, sagte er. »Wir fühlen, daß es noch eine andere Seite von uns gibt. Aber sobald wir versuchen, diese andere Seite festzumachen, gelangt das Tonal ans Ruder, und als Kommandant ist es ziemlich kleinlich und eifersüchtig. Es blendet uns mit seiner List und zwingt uns, auch noch die leiseste Ahnung von dem anderen Teil des echten Paares, dem Nagual. auszutilgen.«
Der Tag des Nagual
Als wir das Restaurant verließen, sagte ich zu Don Juan, daß er recht gehabt habe, mich vor der Schwierigkeit des Themas zu warnen, und daß meine intellektuellen Fähigkeiten nicht ausreichten, um seine Begriffe und Erklärungen zu verstehen. Ich schlug vor. ich sollte vielleicht in mein Hotel gehen und meine Aufzeichnungen noch einmal durchlesen, um ein besseres Verständnis des Themas zu gewinnen. Er suchte mich zu beruhigen. Er meinte, ich regte mich über Wörter auf. Während er sprach, verspürte ich ein Frösteln, und einen Augenblick fühlte ich. daß es tatsächlich einen anderen Bereich in mir gab. Ich berichtete Don Juan, ich hätte gewisse, unerklärliche Empfindungen. Meine Äußerung weckte anscheinend seine Neugier. Ich erzählte ihm, ich hätte diese Empfindungen schon vorher gehabt, und anscheinend seien es momentane Entgleisungen, ein Aussetzen meiner Bewußtseinsvorgänge. Sie manifestierten sich stets als körperlicher Schock, gefolgt von dem Gefühl, daß irgend etwas mich in der Schwebe hielt. Wir gingen gemächlich stadteinwärts. Don Juan bat mich, ihm diese »Entgleisungen« ausführlich zu beschreiben. Es fiel mir schwer, sie zu schildern, außer daß ich sie als momentane Vergeßlichkeit, geistige Abwesenheit oder als Nichtwissen um mein Tun bezeichnen konnte.
Geduldig wehrte er ab. Er wies darauf hin, ich sei ein sehr anspruchsvoller Mensch, hätte ein hervorragendes Gedächtnis und sei in meinem Handeln sehr umsichtig. Zuerst hatte ich gemeint, daß diese eigenartigen Entgleisungen mit dem Abstellen des inneren Dialogs verbunden seien, doch ich erlebte sie auch, während ich extensive Selbstgespräche führte. Sie schienen aus einer Region meines Inneren herzurühren, die ganz unabhängig von allen bewußten Vorgängen war. Don Juan klopfte mir auf den Rücken. Er lächelte mit sichtlichem Vergnügen.
»Endlich beginnst du die richtigen Zusammenhänge zu erkennen«, sage er.
Ich bat ihn, diese geheimnisvolle Feststellung zu erläutern, aber er brach das Gespräch abrupt ab und forderte mich auf. ihn in einen kleinen Park neben einer Kirche zu begleiten. »Dies ist das Ende unseres Spaziergangs durch die Stadt«, sagte er und setzte sich auf eine Bank. »Hier haben wir einen ganz idealen Platz, um die
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