Don Juan 04 - Der Ring der Kraft. Don Juan in den Städten
nur komische Geräusche und Grimassen, und du würdest nichts von alledem verstehen, was ich sage.
Ich sage also, das Tonal ist ein Wächter, der etwas Kostbares bewacht, unser ganzes Sein. Daher ist es eine wesentliche Eigenschaft des Tonal, daß es bei seinem Tun vorsichtig und bedachtsam ist. Und da seine Taten der bei weitem wichtigste Teil unseres Lebens sind, ist es kein Wunder, daß es sich schließlich bei jedem von uns aus einem Wächter in einen Wärter verwandelt.«
Er hielt inne und fragte mich, ob ich verstanden hätte. Automatisch nickte ich bestätigend, und er lächelte mit ungläubiger Miene.
»Ein Wächter ist großzügig und verständnisvoll«, erklärte er. »Ein Wärter dagegen ist ein Sicherheitsorgan, engherzig und meistens despotisch. Ich behaupte also, daß das Tonal bei uns allen zu einem kleinlichen, despotischen Wärter gemacht wird, während es doch ein großzügiger Wächter sein sollte.« Zweifellos konnte ich dem Gang seiner Erläuterung nicht folgen. Ich hörte zwar jedes Wort und schrieb es mit, und doch hing ich irgendwie einem eigenen inneren Dialog nach. »Es fällt mir sehr schwer, dir zu folgen«, sagte ich. »Würdest du dich nicht an dein Selbstgespräch klammern, dann hättest du keine Schwierigkeiten«, sagte er scharf. Diese Bemerkung veranlaßte mich zu einer langen, weitschweifigen Erklärung. Schließlich fing ich mich wieder und entschuldigte mich für meine beharrliche Selbstrechtfertigung.
Er lächelte und machte eine Gebärde, die anzudeuten schien, daß er sich nicht wirklich über mein Verhalten geärgert hatte. »Das Tonal, das ist alles, was wir sind«, fuhr er fort. »Schau dich um! Alles, wofür wir Wörter haben, ist das Tonal. Und da das Tonal nichts anderes ist als sein eigenes Tun, muß folglich alles in seine Sphäre fallen.«
Ich erinnerte ihn daran, daß er gesagt hatte, das »Tonal« sei die soziale Person - ein Begriff, den ich selbst ihm gegenüber verwendet hatte, um den Menschen als Endresultat von Sozia-lisierungsprozessen zu bezeichnen. Falls das »Tonal« dieses Produkt sei, führte ich aus, könne es nicht »alles« sein, wie er gesagt hatte, denn die uns umgebende Welt sei nicht das Produkt einer Sozialisation.
Don Juan verwies mich darauf, daß mein Einwand für ihn gegenstandslos sei, denn er habe mir schon vor langem erklärt, daß es keine Welt schlechthin gebe, sondern nur eine Beschreibung der Welt, die wir uns vorzustellen und als gesichert hinzunehmen gelernt hätten.
»Das Tonal ist alles, was wir kennen«, sagte er. »Ich meine, dies allein ist ein zureichender Grund, warum das Tonal eine so überragende Bedeutung hat.«
Er ließ eine Pause entstehen. Zweifellos wartete er auf eine Bemerkung oder Frage von mir, aber mir fiel nichts ein. Dennoch fühlte ich mich verpflichtet, eine Frage zu stellen. und so bemühte ich mich, etwas Passendes zu formulieren. Es gelang mir nicht. Vielleicht, so meinte ich, wirkten die Warnungen, mit denen er unser Gespräch eröffnet hatte, als Abschreckung gegen jegliches Nachfragen meinerseits. Ich war seltsam betäubt. Ich konnte meine Gedanken nicht sammeln noch ordnen. Tatsächlich spürte und wußte ich ohne den leisesten Zweifel, daß ich nicht zu denken vermochte, und doch wußte ich dies, ohne es zu denken, wenn so etwas überhaupt möglich war.
Ich blickte Don Juan an. Er starrte auf meine Körpermitte. Dann hob er den Blick, und sofort kehrte mein klares Denken wieder.
»Das Tonal ist alles, was wir kennen«, wiederholte er langsam. »Und dies schließt nicht nur uns als Personen ein, sondern alles in unserer Welt. Man kann sagen, das Tonal ist alles, worauf unser Auge fällt.
Bereits im Augenblick unserer Geburt beginnen wir es zu hegen und zu pflegen. In dem Moment, da wir den ersten Atemzug tun, atmen wir auch Kraft für das Tonal ein: es trifft also zu, daß das Tonal eines Menschen eng mit seiner Geburt verbunden ist.
Dieses Faktum mußt du im Sinn behalten. Es ist sehr wichtig, um all dies zu verstehen. Das Tonal beginnt mit der Geburt und endet mit dem Tod.«
Ich wollte alle seine Behauptungen gern noch einmal zusammenfassen. Ich war sogar schon so weit, daß ich meinen Mund aufmachte, um ihn zu bitten, mir die wesentlichen Punkte unseres Gesprächs zu wiederholen, aber zu meiner Verwunderung konnte ich kein Wort hervorbringen. Ich erlebte eine ganz eigenartige Lähmung, meine Zunge war schwer, und ich hatte keinerlei Kontrolle über diese Empfindung. Ich schaute Don Juan an,
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