Don Juan 04 - Der Ring der Kraft. Don Juan in den Städten
um ihm zu verstehen zu geben, daß ich nicht sprechen konnte. Wieder starrte er auf meine Magengegend. Er hob den Blick und fragte, wie ich mich fühlte. Die Wörter sprudelten nur so aus mir heraus, als sei ein Riegel fortgeschoben worden. Ich erzählte ihm, daß ich gerade das eigenartige Gefühl gehabt hätte, nicht sprechen noch denken zu können, dennoch seien meine Gedanken kristallklar gewesen. »Deine Gedanken waren also kristallklar?« fragte er. Nun erkannte ich. daß diese Klarheit sich nicht auf meine Gedanken, sondern auf meine Wahrnehmung der Welt bezog. »Machst du eigentlich irgend etwas mit mir. Don Juan?« fragte ich.
»Ich versuche, dich davon zu überzeugen, daß deine Einwände unnötig sind«, sagte er und lachte. »Du meinst, du möchtest nicht, daß ich Fragen stelle?«
»Nein. nein. Frag nur alles, was du willst, aber laß nicht in deiner Aufmerksamkeit nach.« Ich mußte zugeben, daß ich durch die Ungeheuerlichkeit des Themas zerstreut gewesen war.
»Ich verstehe immer noch nicht, Don Juan, was du mit der Feststellung meinst, daß das Tonal Alles sein soll«, meinte ich nach kurzer Pause.
»Das Tonal ist das, was die Welt schafft.«
»Ist das Tonal der Schöpfer der Welt?« Don Juan kratzte sich am Kopf.
»Das Tonal schafft die Welt - das ist nur eine bildliche Redeweise. Es kann nichts erschaffen oder verändern, und doch schafft es die Welt, denn es ist seine Funktion, zu urteilen, zu bewerten und zu bezeugen. Ich sage, das Tonal schafft die Welt, denn es bezeugt und bewertet sie gemäß den Regeln des Tonal. Auf ganz seltsame Weise ist das Tonal ein Schöpfer, der nichts erschaffen kann. Mit anderen Worten, das Tonal stellt die Regeln auf, nach denen es die Welt begreift. Also erschafft es sozusagen die Welt.« Er summte ein volkstümliches Lied, wobei er den Rhythmus mit den Fingern auf der Stuhllehne trommelte. Seine Augen leuchteten; sie schienen Funken zu sprühen. Er lachte und schüttelte den Kopf.
»Du kannst mir nicht folgen«, sagte er lachend. »Aber doch! Es macht mir keine Mühe«, sagte ich, aber es klang nicht sehr überzeugend.
»Das Tonal ist eine Insel«, erklärte er. »Am besten kann man es beschreiben, wenn man sagt, dies hier ist das Tonal.« Er strich mit der Hand über die Tischplatte. »Man kann sagen, das Tonal ist wie diese Tischplatte. Eine Insel. Und auf dieser Insel haben wir alles mögliche. Diese Insel ist also die Welt. Hier gibt es ein persönliches Tonal für jeden von uns. und da ist zu jedem gegebenen Zeitpunkt ein kollektives für uns alle, das wir als das Tonal der Zeiten bezeichnen können.« Er deutete auf die Tischreihen im Restaurant. »Schau! Jeder Tisch zeigt das gleiche Bild. Auf allen gibt es gewisse Gegenstände. Doch sie unterscheiden sich im einzelnen von einander. Auf manchen Tischen findet sich mehr als auf anderen. Verschiedene Speisen stehen auf ihnen, verschiedene Teller, da ist eine unterschiedliche Atmosphäre, und doch müssen wir zugeben, daß alle Tische in diesem Restaurant sich sehr ähnlich sind. Das gleiche gilt für das Tonal. Man kann sagen, es ist das Tonal der Zeiten, was uns einander ähnlich macht, genau wie es alle Tische in diesem Restaurant sich gleichen läßt. Dennoch ist jeder Tisch für sich ein Einzelfall, genau wie das persönliche Tonal eines jeden von uns. Doch das entscheidende Faktum, das wir nicht vergessen dürfen, ist, daß alles, was wir über uns selbst und über unsere Welt wissen, sich auf der Insel des Tonal befindet. Siehst du. was ich meine?«
»Wenn das Tonal all das ist, was wir über uns und unsere Welt wissen, was ist dann das Nagual?«
»Das Nagual ist derjenige Teil von uns, der uns ganz unzugänglich ist.«
»Wie bitte?«
»Das Nagual ist der Teil von uns, für den es keine Beschreibung gibt - keine Wörter, keine Namen, keine Gefühle, kein Wissen.«
»Das ist ein Widerspruch, Don Juan. Wenn es nicht gefühlt oder beschrieben oder benannt werden kann, dann kann es meiner Meinung nach nicht existieren.«
»Nur deiner Meinung nach ist es ein Widerspruch. Ich habe dich schon gewarnt, bring dich nicht um im Bemühen, dies zu verstehen.«
»Würdest du sagen, das das Nagual der Geist ist?«
»Nein. Der Geist ist nur ein Gegenstand auf dem Tisch. Der Geist ist Teil des Tonal. Sagen wir einmal, der Geist ist diese Chiliflasche.« Er nahm eine Gewürzflasche und stellte sie vor mir auf den Tisch.
»Ist das Nagual die Seele?«
»Nein. Auch die Seele gibt es auf dem Tisch. Nehmen
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