Don Juan 04 - Der Ring der Kraft. Don Juan in den Städten
hatte, fing er an zu sprechen.
»Wenn man es mit dem Magnat zu tun hat, soll man es nie direkt anschauen«, sagte er. »Heute morgen hast du es angestarrt, und deshalb verließen dich die Kräfte. Die einzig mögliche Art, das Nagual anzusehen, ist, so zu tun, als ob es etwas ganz Alltägliches sei. Und man muß blinzeln, um die Fixierung zu lösen. Unsere Augen sind die Augen des Tonal oder genauer gesagt, unsere Augen sind durch das Tonal geschult, daher erhebt das Tonal Anspruch auf sie. Eine der Ursachen für deine Verwirrung und deinen Verdruß ist, daß dein Tonal deine Augen nicht loslassen will. An dem Tag, da es dies tut, wird dein Nagual eine große Schlacht gewonnen haben. Du bist oder besser: wir alle sind zwanghaft besessen von der Idee, die Welt nach den Gesetzen des Tonal zu arrangieren. Jedesmal. wenn wir dem Nagual gegenüberste hen, strengen wir uns daher ungeheuer an. unsere Augen starr und unnachgiebig zu machen. Ich muß den Teil deines Tonal ansprechen, der dieses Dilemma versteht, und du mußt dich bemühen, deine Augen frei zu machen. Es kommt darauf an, das Tonal davon zu überzeugen, daß es noch andere Welten geben kann, die sich vor den gleichen Fenstern abspielen. Dies hat das Nagual dir heute morgen gezeigt. Also befrei deine Augen! Laß sie echte Fenster sein! Die Augen können Fenster sein, durch die man in den Stumpfsinn glotzt oder in diese Unendlichkeit späht.«
Don Juan wies mit einer kreisförmigen Bewegung des linken Armes auf die Umgebung. In seinen Augen war ein Glitzern, und sein Lächeln war furchterregend und entwaffnend zugleich. »Wie kann ich das?« fragte ich.
»Ich sage dir, das ist ganz einfach. Vielleicht sage ich. es sei einfach, weil ich es schon so lange praktiziere. Du brauchst nichts anderes tun, als deinen Vorsatz wie einen Grenzschlagbaum einzusetzen. Immer wenn du in der Welt des Tonal/bist, dann sollst du ein makelloses Tonal sein. Keine Zeit für irrationalen Quatsch! Aber immer, wenn du in der Welt des Nagual bist, dann sollst du ebenso makellos sein. Keine Zeit fü rrationalen Quatsch! Für den Krieger ist sein Vorsatz wie ein Schlagbaum zwischen beiden. Er schließt sich vollständig hinter ihm, wenn er das eine oder das andere Reich betritt. Und noch etwas sollte man tun. sobald man dem Nagual gegenübertritt, nämlich von Zeit zu Zeit die Blickrichtung wechseln, um den Bann des Nagual zu brechen. Eine Veränderung der Augenstellung mildert stets den Ansturm auf das Tonal. Heute morgen stellte ich fest, daß du extrem verletzlich warst, und ich veränderte deine Kopfhaltung. Wenn du wieder einmal in einer solchen Lage bist, dann solltest du selbst deine Kopfhaltung wechseln können. Dieser Wechsel sollte aber nur als Hilfsmittel dienen, nicht als eine weitere Möglichkeit, sich zu verbarrikadieren, um die Ordnung des Tonal zu wahren. Ich wette, du würdest versuchen, diese Technik einzusetzen, um dahinter die Rationalität deines Tonal zu verstecken, und dich dadurch im Glauben wiegen, du bewahrtest es vor der Vernichtung. Dein Denkfehler ist, daß niemand die Vernich tung der Rationalität des Tonal wünscht oder anstrebt. Diese Sorge ist unbegründet.
Ansonsten kann ich dir nichts sagen, außer daß du jede Bewegung, die Genaro macht, verfolgen mußt, ohne dich zu verausgaben. Du kannst dich jetzt auf die Probe stellen, ob dein Tonal mit Unwesentlichem vollgestopft ist oder nicht. Wenn es zu viele unnötige Dinge auf deiner Insel gibt, dann wirst du die Begegnung mit dem Nagual nicht aushallen.«
»Was könnte mir passieren?«
»Du könntest sterben. Niemand kann eine vorsätzliche Begegnung mit dem Nagual ohne langes Training überleben. Es braucht Jahre, um das Tonal auf eine solche Begegnung vorzubereiten. Wenn ein normaler Mensch dem Nagual von Angesicht zu Angesicht entgegenträte, dann wäre der Schock so stark, daß er sterben könnte. Das Training eines Kriegers verfolgt also nicht das Ziel, ihn das Zaubern oder Hexen zu lehren, sondern sein Tonal vorzubereiten, damit es nicht stirbt. Ein sehr schwieriges Unterfangen! Der Krieger muß lernen, unfehlbar und vollkommen leer zu sein, bevor er auch nur daran denken kann, dem Nagual zu begegnen. In einem Fall zum Beispiel mußt du aufhören zu kalkulieren. Was du heute morgen gemacht hast, war absurd. Du nennst es Erklären. Ich nenne es ein steriles, stumpfsinniges Beharren des Tonal, alles unter Kontrolle zu behalten. Immer wenn ihm dies nicht gelingt, gibt es einen Augenblick der
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