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Don Juan 04 - Der Ring der Kraft. Don Juan in den Städten

Titel: Don Juan 04 - Der Ring der Kraft. Don Juan in den Städten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carlos Castaneda
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Genaro war verschwunden. Don Juan stand vor mir. Er krümmte sich vor Lachen. Er kam einen Schritt näher. »Tut mir leid«, flüsterte er. »Es geht nicht anders.« Ich wollte ihn nach Don Genaros Verbleib fragen, aber ich wußte, daß ich sterben würde, wenn ich nicht weiter atmete und mein Zwerchfell nach unten preßte. Don Juan wies mit dem Kinn auf eine Stelle hinter mir. Ohne meine Füße zu bewegen, wollte ich mich nach links umdrehen. Aber noch bevor ich sehen konnte, was er mir zeigen wollte, sprang Don Juan herbei und hinderte mich daran. Durch seinen gewaltigen Satz und den Schwung, mit dem er mich packte, verlor ich das Gleichgewicht. Im Rückwärtsfallen hatte ich das Gefühl, daß ich mich in meinem Schrecken an Don Juan festklammerte und ihn folglich mit mir zu Boden riß. Aber als ich aufschaute, mußte ich einen völligen Widerspruch zwischen meinen taktilen und visuellen Sinneseindrücken feststellen. Ich sah Don Juan über mir stehen und lachen, während mein Körper unzweifelhaft das Gewicht und den Druck eines ande ren. auf mir liegenden Körpers spürte, der mich geradezu auf den Boden preßte.
    Don Juan reichte mir die Hand und half mir auf. Meine körperliche Empfindung war, daß er zwei Leiber emporzog. Er lächelte wissend und flüsterte mir zu, man dürfe sich nie nach links umdrehen, wenn man das »Nagual« sehen wolle. Das »Nagual« sei tödlich, und es sei nicht notwendig, die Risiken noch größer zu machen, als sie ohnehin schon seien. Dann drehte er mich behutsam um und lenkte meinen Blick auf einen riesigen Eukalyptus. Er war wohl der älteste Baum hier in der Gegend. Sein Stamm war fast zweimal so dick wie die aller anderen. Mit den Augen wies er zum Wipfel des Baumes hinauf. Don Genaro hockte auf einem Ast! Er schaute zu mir herab. Ich sah seine Augen wie zwei riesige, das Licht reflektierende Spiegel. Ich wollte nicht hinsehen, aber Don Juan bestand darauf, ich dürfe den Blick nicht abwenden. Eindringlich flüsternd, befahl er mir. mit den Augen zu blinz eln und nicht der Angst nachzugeben oder mich gehenzulassen.
    Ich bemerkte, daß Don Genaros Augen, wenn ich regelmäßig blinzelte, nicht so furchterregend waren. Nur wenn ich starr hinschaute, wurde das Leuchten seiner Augen entsetzlich. Lange blieb er auf dem Ast hocken. Dann - ohne eine Körperbewegung - sprang er herab und landete in der gleichen hockenden Stellung ein paar Meter von meinem Standort entfernt. Ich konnte den ganzen Ablauf seines Sprungs verfolgen, und ich wußte, daß ich mehr gesehen hatte, als meine Augen aufnehmen konnten. Don Genaro war nicht eigentlich gesprungen. Irgend etwas hatte ihn sozusagen von hinten geschoben und ihn eine Parabel durch die Luft beschreiben lassen. Der Ast, auf dem er gesessen hatte, war an die dreißig Meter hoch, und der Baum war ungefähr fünfzig Meter von mir entfernt; folglich mußte sein Körper eine gekrümmte Kurve beschreiben, um dort zu landen, wo er es tat. Aber die Kraft, die es brauchte, um eine solche Entfernung zu überwinden, war nicht das Produkt von Don Genaros Muskeln; sein Körper wurde vom Ast auf den Boden »geblasen«. Während sein Körper diese Parabel beschrieb, konnte ich einen Augenblick seine Schuhsohlen und sein Gesäß se hen. Dann vollführte er eine weiche Landung, wiewohl sein Gewicht Erdklumpen zerbröselte und Staub aufwirbelte. Hinter mir hörte ich Don Juan lachen. Don Genaro stand auf, als sei nichts geschehen, und zupfte mich am Ärmel, um mir zu bedeuten, daß wir aufbrechen sollten.
    Niemand sprach ein Wort auf dem Weg zu Don Genaros Haus. Ich war klar und gefaßt. Etliche Male blieb Don Juan stehen und starrte mir prüfend in die Augen. Er schien zufrieden. Sobald wir daheim waren, ging Don Genaro hinter das Haus. Es war immer noch früh am Morgen. Don Juan setzte sich neben der Tür auf den Boden und wies mir mit der Hand einen Platz. Ich war erschöpft. Ich legte mich hin und schlief wie ein Stein.
    Ich erwachte davon, daß Don Juan mich schüttelte. Ich wollte nachsehen, wie spät es war. Meine Uhr war weg. Don Juan zog sie aus seiner Hemdtasche und reichte sie mir. Es war gegen ein Uhr mittags. Ich schaute auf, und unsere Blicke begegneten sich.
    »Nein! Es gibt keine Erklärung«, sagte er und wandte sich ab. »Das Nagual ist nur dazu da, erlebt zu werden.« Ich ging um das Haus herum und suchte Don Genaro; er war nicht da. Dann kehrte ich zum Vorplatz zurück. Don Juan hatte mir etwas zu essen zubereitet. Nachdem ich gegessen

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