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Don Juan 05 - Der zweite Ring der Kraft

Don Juan 05 - Der zweite Ring der Kraft

Titel: Don Juan 05 - Der zweite Ring der Kraft Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carlos Castaneda
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ich konnte mich, wie ich's gewohnt war, an meine Rationalität halten und hätte sagen können, ich hätte nicht die blasseste Ahnung - und damit hätte ich die Wahrheit gesagt. Oder ich konnte sagen, daß mein Doppelgänger mich aus den Händen dieser Frauen befreit hatte. In Gedanken erwog ich die möglichen Folgen der beiden Alternativen, als Benigno meine Aufmerksamkeit auf sich zog. Er öffnete ein Auge einen Spaltbreit und schaute mich an, dann kicherte er und barg seinen Kopf in den Armen. »Benigno, willst du denn nicht mit mir sprechen?« fragte ich. Er schüttelte verneinend den Kopf.
    Ich fühlte mich ihm gegenüber befangen und beschieß ihn zu fragen, was mit ihm los sei. »Was macht er da?« fragte ich Nestor leise. Nestor strich Benigno sachte über den Kopf und rüttelte ihn. Benigno öffnete die Augen, dann schloß er sie wieder. »So ist er eben, das weißt du doch«, sagte Nestor zu mir. »Er ist extrem schüchtern. Früher oder später wird er schon die Augen öffnen. Beachte ihn nicht weiter. Wenn er sich langweilt, wird er schon einschlafen.«
    Benigno nickte bejahend, ohne die Augen zu öffnen. »Also, wie hast du‘s überstanden?« beharrte Nestor. »Willst du es uns nicht verraten?«
    Ich entschloß mich also und erzählte ihnen, daß mein Doppelgänger dreimal aus meinem Kopf gekommen war. Ich berichtete ihnen ausführlich, was alles vorgefallen war. Sie schienen nicht im mindesten überrascht und faßten meinen Bericht wie selbstverständlich auf. Pablito begeisterte sich an der Vorstellung, daß Dona Soledad sich möglicherweise nicht mehr erholen und sterben würde. Er wollte wissen, ob ich Lidia ebenso hart geschlagen hatte. Nestor gebot ihm mit einer herrischen Geste Schweigen, und er unterbrach sich kleinlaut mitten im Satz. »Es tut mir leid, Maestro«, sagte Nestor, »aber das war nicht dein Doppelgänger.«
    »Aber alle sagen doch, daß es mein Doppelgänger war«, wandte ich ein.
    »Ich weiß gewiß, daß du la Gorda mißverstanden hast, denn als Benigno und ich zu Genaros Haus gingen, da überholte uns la Gorda auf der Straße und erzählte uns, daß du mit Pablito hier im Haus bist. Sie nannte dich den Nagual. Und du weißt warum?« Ich lachte und sagte, sie sei wohl der Meinung, ich hätte den größten Teil der Leuchtkraft des Nagual bekommen. »Einer von uns ist ein Narr!« rief Benigno mit donnernder Stimme, ohne die Augen zu öffnen.
    Der Klang seiner Stimme war so befremdlich, daß ich von ihm abrückte und aufsprang. Seine völlig unerwartete Äußerung und meine Reaktion darauf brachten alle zum Lachen. Benigno öffnete ein Auge und schaute mich einen Moment an, dann barg er sein Gesicht in den Armen.
    »Weißt du, warum wir Juan Matus den Nagual nannten?« fragte Nestor mich.
    Ich sagte, ich hätte immer angenommen, dies sei eine freundliche Umschreibung der Tatsache, daß Don Juan ein Zauberer war. Benigno lachte so laut und röhrend, daß sein Gelächter alles andere übertönte. Er schien ungeheuer belustigt. Er lehnte seinen Kopf gegen meine Schulter, als sei's eine schwere Last, die er nicht mehr zu tragen vermochte.
    »Der Grund, warum wir ihn den Nagual nannten, ist, weil er zwiegespalten war. Mit anderen Worten, immer wenn er wollte, konnte er auf eine andere Spur überwechseln, die wir selbst nicht haben. Irgend etwas kam dann aus ihm heraus, aber dieses Etwas war kein Doppelgänger, sondern eine schreckliche, bedrohliche Gestalt, die ihm ähnlich sah, aber doppelt so groß war wie er. Diese Gestalt nennen wir den Nagual, und jeder, der sie hat, ist natürlich der Nagual.
    Der Nagual sagte uns, wir alle könnten diese Gestalt aus unserm Kopf kommen lassen, wenn wir nur wollten, aber wahrscheinlich würde keiner von uns es wollen. Genaro wollte es nicht, und, darum wollen wir es auch nicht. Also bist du anscheinend derjenige, der damit geschlagen ist.«
    Sie lachten und johlten, als gelte es, eine Rinderherde durch die Prärie zu treiben. Benigno warf mir die Arme um die Schultern, ohne die Augen zu öffnen, und lachte, bis ihm die Tränen über die Wangen rollten.
    »Warum sagst du, ich sei damit geschlagen?« fragte ich Nestor. »Es fordert zuviel Energie, zuviel Mühe. Ich weiß nicht, wie du es aushaken und dich immer noch aufrechthalten kannst. Einmal, in jenem Eukalyptuswäldchen, da haben Genaro und der Nagual dich gespalten. Sie führten dich dorthin, weil der Eukalyptus dein Baum ist. Ich war selbst dort und ich war Augenzeuge, wie sie dich spalteten

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