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Don Juan de la Mancha

Don Juan de la Mancha

Titel: Don Juan de la Mancha Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Menasse
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absolviert (die Fitness war leicht herzustellen, da er ja noch fit war, im Gegensatz zu den Fünfzig- bis Siebzigjährigen, von denen er in diesem Kurhotel umzingelt gewesen war), saß in der Redaktion (Ressort »Leben«) und hatte einen Artikel zu kürzen, weil ein eben hereingekommenes Inserat auf dieser Seite noch untergebracht werden musste. Es war ein Artikel über die dramatische Zunahme allergischer Hautreaktionen, und das Inserat bewarb ein Putzmittel mit dem Slogan »Scheuert ohne zu kratzen, pflegt dabei die Haut«.
    Es ist schwer zu verstehen, aber leicht zu erklären, oder umgekehrt, dass Nathan minutenlang nur vor sich hinstarrte. Nein, nicht vor sich hin, er starrte in die Layout-Maske wie in einen Spiegel.
    Irgendetwas ist da passiert. Es hatte sich ein Entschluss gefasst. Eine Bereitschaft eröffnet. Er ersetzte kurzerhand eine ganze Spalte des »Allergie«-Artikels durch einen Satz: »Ritter hatten keine Haut. Darum trugen sie Rüstungen.«
    Er hatte die seine abgelegt. Vor ihm stand ein Becher Kaffee vom Automaten draußen auf dem Korridor, »mit Aufheller«. Er wollte einen Rausch. Er ließ die Seite ins Layout rinnen, noch zwei, drei kleine Adjustierungen, die Seite passte. Es war journalistisch alles über Allergien gesagt. Er ging, kaufte auf der Straße eine Programmzeitschrift, setzte sich in ein Café, bestellte Wein, las den Veranstaltungskalender und stellte sich vor, dass jetzt irgendwo in dieser Stadt eine Frau vor ebendieser Programmzeitschrift saß und überlegte, wohin sie an diesem Abend gehen sollte. Diese Frau wollte er. Kennenlernen. Sie war, davon war er überzeugt, seine Frau. Aufheller. Ohne zu kratzen. Er bestellte noch ein Glas Wein. Studierte das Angebot der Stadt.
    Ein halbes Jahr später war Hochzeit.
    72.
    Was ist das plötzlich für eine Geschichte, Nathan? In der dritten Person? Warum sagen Sie nicht »ich«?
    Ich wollte Distanz gewinnen! Das Ziel ist doch –
    Man kann nie ein Ziel erreichen, wenn man Distanz gewinnen will!
    73.
    Eine Dichterlesung? Mich interessierte keiner der Dichter, die an diesem Abend in Wien lasen. Entweder konnten sie nicht dichten, oder sie konnten nicht lesen. Oder ich hatte noch nie von ihnen gehört. Woher sollte ich wissen, ob mich einer von ihnen interessierte – und zugleich auch die Frau, die jetzt im selben Moment die Programmzeitschrift las? Theater? Die Stücke auf dem Spielplan, die ich sehen wollte, hatte ich bereits gesehen. Die Frau, so sie auch gerne ins Theater ging, und davon ging ich aus, musste sie ebenfalls schon gesehen haben. Konzert? Im Konzerthaus wurde Friedrich Cerha gegeben, »Langegger Nachtmusik III«. Ich liebte Cerha. Meine Frau liebte auch Cerha, davon war ich überzeugt. Aber genauso wie ich, das war klar, hörte sie lieber eine CD zu Hause als in den engen Reihen eines steifen Konzertsaals. Eine Frau, der beim Musikhören Bequemlichkeit egal war, konnte nicht die richtige sein. Sollte ich einmal einen Sohn haben, dann würde das eine der drei Regeln sein, die ich ihm mitgebe. Pink Floyd in der Stadthalle. Pink Floyd gehörte zweifellos zum Soundtrack meiner Biographie. Aber ich war nie ein kreischender Jugendlicher. Und Feuerzeugschwenken war nicht eines meiner Grundbedürfnisse. Ein Vortrag? Der Dalai Lama im Palais Eschenbach, auf Einladung der Wirtschaftskammer. Wenn die Frau, die gerade gleichzeitig die Programmzeitung las, zu einem Gott gehen sollte, den die Wirtschaftskammer eingeladen hatte, wären wir geschiedene Leute, noch bevor wir uns kennengelernt hatten. Festsaal der Universität Wien: Alfred Sohn-Rethel, Gastvortrag: »Das Ideal des Kaputten«. Ich bestellte noch ein Glas Wein. Alfred Sohn-Rethel lebte noch? Dieser berühmte Philosoph, der Autor von »Warenform und Denkform«, »Ökonomie und Klassenstruktur des deutschen Faschismus«, der Gott seinerzeitiger Bettauer-Arbeitskreise lebte noch? Er musste steinalt sein, er war so vergessen, als wäre er tot. Das sind die wahren Götter: die lebenden Toten. Ich hob mein Glas auf ihn. In diesem Moment wurden in Wien zwei Ausgaben der Programmzeitung gleichzeitig zugeschlagen, wurde gleichzeitig von zwei Menschen die Taxi-Rufnummer gewählt. Als ich bei der Uni ankam, schaute ich, ob gerade ein zweites Taxi vorfuhr. Die Philosophen-Stiege. Der Festsaal. Es war noch eine halbe Stunde bis zum Beginn des Vortrags. Ich war der Erste. Außer mir war nur die Garderobefrau da. Ich legte den Mantel vor ihr auf den Tisch. Nicht gerade ein Massenansturm, sagte

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