Don Juan de la Mancha
plötzlich bedauerte ich Philip Roth, dass er zu solchen Sätzen nicht mehr, und Walser, dass er zu solchen Sätzen nie imstande war.
Aber Roth ist doch ein großer Realist: Ich las bei ihm den Satz »Da läutete das Telefon« – und es läutete das Telefon.
Es war Martha, die Frau meines Vaters. Ob ich heute Abend bei ihr vorbeikommen könnte. Sie sei gerade dabei, den Nachlass meines Vaters – sie zögerte kurz und sagte: zu verwalten. Es stellte sich heraus, dass sie unter »verwalten« entsorgen verstand. Sie wolle nichts wegwerfen, ohne mich gefragt zu haben, ob es mir vielleicht wichtig wäre. Sie meine nicht seine Anzüge und Hemden, die mir vermutlich nicht passen würden. Diese möchte sie der Flüchtlingshilfe spenden, und sie nehme an, dass ich einverstanden sei. Aber da gäbe es zwei Kartons mit Drucksachen, die sie zum Altpapier geben würde, aber nun sei es ihr doch lieber, wenn ich einen Blick darauf werfen könnte. Vielleicht habe der Inhalt der Schachteln einen Wert für mich, oder aber für einen Sammler, und man könne ihn verkaufen. Sie aber kenne sich diesbezüglich nicht aus.
Ich sagte, dass ich in Schweinskreutz sei, aber ohnehin vorgehabt hätte, an diesem Tag nach Wien zurückzufahren. Ich versprach, um achtzehn Uhr bei ihr zu sein.
Ich rief Christa an. Morgen Mittag? Ausgemacht. Ich rief Hannah an. Die einzige kurzfristige Möglichkeit, sagte sie, sei am nächsten Tag zu Mittag, in ihrer Mittagspause. Abgemacht. Ich rief wieder Christa an. Ob sie auch am Nachmittag könne. Nur um fünf, sagte sie, nur eine Stunde. In der Nähe der Uni. Café Landtmann? Abgemacht. Ich rief meine Frau an. Sie sei auf dem Flughafen. Sie müsse nach Madrid.
Das hast du mir gar nicht gesagt.
Du hast mir nicht die Chance gegeben, dir irgendetwas zu sagen.
Wann kommst du zurück?
Morgen Mittag. Hol mich ab, und wir gehen essen.
Zu Mittag bin ich bei Hannah. Gehen wir abendessen?
Am Abend habe ich einen Termin. Kannst du am Nachmittag?
Da habe ich einen Termin.
Okay. Ich muss jetzt Schluss machen. Ich muss zum Gate.
Flieg vorsichtig!
Ich nahm eine Dusche. Wie unbequem es war, sich in einer Wanne zu duschen. Ich hatte nicht einmal einen Duschvorhang. Ich spritzte das ganze Badezimmer nass. Auch das Handtuch, das neben der Wanne hing. In einer Duschkabine wird man vom Wasserdampf umhüllt, beim Duschen in einer Badewanne friert man. Dann das Raussteigen. So kompliziert. Fast wäre ich ausgerutscht. Das nasse Handtuch. Ich holte ein frisches aus dem Wäscheschrank im Schlafzimmer. Jetzt war auch noch im halben Haus der Fußboden nass. Ich hasste Badewannen.
Es läutete nicht. Draußen standen jetzt nicht die verschwitzten Männer, trugen nicht die neue Badewanne herein. Das hätte jetzt nur zu gut gepasst. Das hätte noch gefehlt. Ich trocknete mich ab und rief bei der Firma an, um die Crystal-Plus-Wanne abzubestellen. Es bleibe, sagte ich, bei der ursprünglichen Bestellung einer Duschkabine. Ob ich ganz sicher sei? Natürlich, ich schrie, natürlich sei ich sicher. Dann zog ich den neuen Anzug an und fuhr nach Wien.
Martha war schön. Exkurs: Ich hatte mich bei der Lektüre von Philip Roths »Jedermann« darüber geärgert, dass er über eine Frau schrieb: »Sie sah aus wie Eleonor Roosevelt.« Punkt. Hier zeigt sich der Imperialismus noch im kleinsten Detail. Ein nordamerikanischer Schriftsteller kann sich die Beschreibung einer Frau sparen, wenn sie aussieht wie Eleonor Roosevelt. Jeder hat zu wissen, wie die Gattin eines Expräsidenten der USA aussah. Das Furchtbare ist ja, dass man es tatsächlich weiß, zumindest eine ungefähre Vorstellung davon hat. Aber schon Südamerikaner können das nicht. »Sie sah aus wie Darcy Lima Sarmanho, die Frau von Getulio Vargas.« Erst recht ließe keiner den Satz eines österreichischen Autors durchgehen: »Sie sah aus wie Herma Kirchschläger.« Punkt.
Martha sah aus wie Maresa Hörbiger. Sie war fünfundzwanzig Jahre jünger als mein Vater, nur fünf Jahre älter als ich. Wir saßen auf dem Ehebett. Hier hatte sie die zwei Kartons hingestellt, die sie mir zeigen wollte, graue Archiv-Schachteln von BENE. Martha trug eine schwarze Bluse, um den Hals die Perlenkette von Oma. Ein schwarzer Rock, schwarze Strümpfe. Sie hatte schlanke, sehnige Beine, diese Beine waren einst ihre Karrierehoffnung gewesen. Sie hat es damals bis ins Finale der Miss-Austria- Wahl geschafft. Dann aber nur in die Ehe mit meinem Vater. Sie saß im Schneidersitz auf dem Bett. Der Rock
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