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Don Juan de la Mancha

Don Juan de la Mancha

Titel: Don Juan de la Mancha Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Menasse
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sie für mich aufkleben? Die langen Wimpern.
    70.
    Meine Frau ist mit dem Flugzeug abgestürzt.
    Was erzählen Sie da, sagte Hannah, bitte Nathan, was erzählen Sie da?
    Ja, erzählen, sagte ich. Ich wusste nicht mehr, wohin mit ihr.
    Das nächste Mal will ich mehr von Ihrer Frau wissen. Schreiben Sie, Nathan. Sie sind knapp vor der Grenze.
    71.
    Man muss sich Nathan als einen glücklichen Mann vorstellen. Er war gut aussehend, wobei gut aussehend bei einem Mann in der Regel nicht viel mehr bedeuten muss, als dass er gerade Glieder, wenig Übergewicht und noch keinen allzu starken Haarausfall hat. Er hatte in seinem Leben noch keinen nennenswerten Erfolg, aber auch nie größere Probleme oder drückende Sorgen gehabt. Schon diese Mittelmäßigkeit gab ihm offenbar den Anschein des Privilegierten. Es hieß, dass ihm offenbar alles wesentlich leichter zufiele als anderen. Er wunderte sich gelegentlich, wie wenig Mittelmäßigkeit manche seiner Freunde und Bekannten als gesichert für sich verbuchen konnten, wenn sie schon ihm die seine neideten. Noch verwunderlicher war für einige wenige, die ihn näher kannten, wie wenig Glück er mit Frauen hatte. Allein dieser Sachverhalt wäre für andere ein ausreichender Grund gewesen, mit ihrem Schicksal zu hadern. Allerdings gab es da ein Missverständnis: »Glück mit Frauen zu haben« hieß für seine Freunde, Frauen zu haben, er aber meinte, wenn er darüber redete, Glück zu haben. Eine Frau war für ihn leicht »zu haben«, aber eben nicht das Glück. Wenn er eine Frau kennenlernte, war er gespannt wie vor einer Theaterpremiere. Er liebte das Theater. Dann ging der Vorhang auf. Zu viel Outrieren. Zu viel Bühnenbild. Zu viel Eitelkeit. Zu viel Nachtarbeit. So war das Theater. Seiner Affären. Er haderte nicht. Er lehnte es ab, seinen Frust mit »dem anderen schönen Geschlecht« – für solche Kalauer war er im Freundeskreis bekannt – »aufzuarbeiten«, wie es damals hieß. Er hatte Arbeit genug. Außerdem war er der Meinung, dass man für Arbeit bezahlt werden und nicht bezahlen sollte. Und eine solche »Aufarbeitung« würde, das war ihm klar, zu nichts anderem führen als zu einer psychoanalytischen Therapie, diese wieder zu einer Sezierung seiner Mutter-Beziehung, mit anderen Worten bloß dazu, über seinem Leben einen Dom zu errichten, in dem Riten exerziert werden, die ihn langweilten. Er hatte seine Erinnerungen. Was er vergessen hatte, ging ihm nicht ab. Und wiederholen wollte er nichts. Er war nicht nur das einzige Kind seiner Mutter gewesen, sondern auch sehr früh, nach der Trennung seiner Eltern, und dann sehr lang auch ihr einziger Mann, der Ersatzmann. Natürlich nicht im Vollzug, nur praktisch. Bis zu seinem siebzehnten Lebensjahr hatte er im Bett seiner Mutter geschlafen, eigentlich das Ehebett, es hatte kein anderes gegeben. Erst dann wurde ein sogenanntes Jugendbett angeschafft, aber was konnte das schon für einen Unterschied machen in der kleinen Wohnung, in der es kein eigenes Zimmer für ihn gab. Es wurde dann lediglich enger im Schlafzimmer. Und dann zog er ohnehin schon aus. Er kam eben aus »kleinen Verhältnissen«, und dieser Begriff passte dann auch für alle Verhältnisse, die er in der Folge einging. Es gab keine Frau, nicht einmal die, die er einmal geheiratet hatte, mit der er ein anderes als ein »kleines Verhältnis« haben konnte. Jedenfalls hatte der Sachverhalt, dass er bis siebzehn im Bett seiner Mutter geschlafen hatte, für ihn nichts Unangenehmes oder Problematisches – wenn es nicht die Konsequenzen gehabt hätte, unter denen er litt, allerdings schmerzlos litt. Höchstens irritierte ihn, dass diese problematische Situation, in der er sich als Kind und Jugendlicher befunden hatte, so simpel fortgewirkt haben soll. Der offensichtliche Zusammenhang zwischen Ursache und Wirkung erschien ihm als allzu primitiv, nicht als falsch, lediglich als allzu primitiv, sodass er sich von einer genaueren Analyse lediglich eine detailliertere Vertrautheit mit dieser Primitivität, eine unerträgliche Familiarität mit dem Simplen erwartete.
    Nicht dass er nur das Komplizierte liebte. Nicht im Geringsten. Aber auch das Simple liebte er nicht. Und wenn ihm diese Haltung auch tatsächlich einiges im Leben erleichterte, so erschwerte sie ihm zugleich alles im Lieben, wo es nichts anderes gab, als ganz kompliziert simpel zu funktionieren.
    Er war zu diesem Zeitpunkt sechsunddreißig Jahre alt, hatte soeben einen sogenannten »Fitnessurlaub«

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