Don Quixote von la Mancha: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition)
sich, ohne sich länger bitten zu lassen, indem sie mit größtem Anstande ihre Schuhe anlegte und ihre Haare aufwickelte, auf ein Felsenstück, und nachdem die drei sich um sie gelagert und sie sich bemüht hatte, einige Tränen zu unterdrücken, die ihr in die Augen stiegen, begann sie mit sanfter und melodischer Stimme die Geschichte ihres Lebens auf folgende Weise:
»Hier in Andalusien liegt ein Ort, von dem ein Herzog seinen Titel nimmt, welcher ihn zu einem von denen macht, die man die Granden von Spanien nennt. Dieser hat zwei Söhne, der ältere Erbe seiner Güter und, wie es scheint, seiner Tugenden; der jüngere aber mag wohl nur Erbe der Verrätereien des Vellido und der Tücke des Galalon sein. Dieses Herrn Vasallen sind meine Eltern, von geringer Abkunft, doch so reich, daß, wenn die Natur ihnen ebenso günstig gewesen wäre wie das Glück, sie weder etwas zu wünschen hätten, noch ich in mein gegenwärtiges Elend verwickelt wäre; denn wohl mag mein schlimmes Geschick nur dadurch veranlaßt sein, daß sie von keinem edlen Geschlechte abstammen. Doch sind sie nicht so niedrig, daß sie sich ihres Standes zu schämen hätten, doch ebensowenig vornehm genug, um mir den Gedanken nehmen zu können, daß nur aus ihrer Niedrigkeit mein Unglück erwachsen sei; kurz, sie sind einfache Landleute, nie vermischt mit einem schlecht berufenen Stamme, sondern alte, unbefleckte Christen, und so unbefleckt, daß ihr Reichtum und Aufwand ihnen nach und nach den Namen der Hidalgos, ja der Ritter erwerben könnte, doch schätzen sie das für ihren größten Reichtum und besten Adel, mich zur Tochter zu haben; und da sie keinen anderen Erben oder Erbin hatten, und sie mich zärtlich als ihr Kind hielten, wurde ich so von ihnen geliebt, wie nur je eine Tochter geliebt wurde. Ich war der Spiegel, in dem sie sich betrachteten, die Stütze ihres Alters, das Ziel aller ihrer Wünsche, die sie mit denen zum Himmel vereinigten und mit denen die meinigen durchaus übereinstimmten, da sie immer die besten waren. Nicht weniger, wie ich die Beherrscherin ihrer Liebe war, war ich es über alle ihre Güter; ich nahm Diener an und gab ihnen den Abschied, die Rechnungen über Aussaat und Ernte gingen durch meine Hände; über die Ölmühlen, die Weinkeltern, über die Herden des großen und kleinen Viehes, über die Bienenzucht, kurz, über alles, was zum Besitztume eines so reichen Landmanns gehört, wie mein Vater war, führte ich die Rechnung. Ich war die Haushälterin und Herrscherin, und meine Sorgfalt erwarb mir sein Wohlgefallen in solchem Maße, daß ich es unmöglich ausdrücken kann. Die Stunden, die mir vom Tage übrigblieben, nachdem ich die Geschäfte der Haushaltung und Wirtschaft besorgt hatte, wendete ich zu jenen Übungen an, die den Jungfrauen ebenso nützlich als nötig sind wie die Arbeiten mit der Nadel oder am Stickrahmen, oft auch das Spinnrad; und ließ ich diese Arbeiten, um meinen Sinn zu ermuntern, so las ich zu meinem Vergnügen irgendein geistliches Buch, oder ich spielte meine Harfe; denn die Erfahrung zeigte mir, wie die Musik unruhige Gemüter beruhigt und die Leiden der Seele erleichtert. Ein solches Leben führte ich in meiner Eltern Hause, welches ich euch nicht aus Prahlerei so umständlich beschrieben habe, oder um zu zeigen, daß ich reich sei, sondern damit ihr sehen mögt, wie ich ohne meine Schuld aus jener glücklichen Lage in das Elend geraten bin, in welchem ich mich jetzt befinde.
Wie ich also mein Leben so eingezogen unter diesen Beschäftigungen fortführte, daß man es mit dem Aufenthalte in einem Kloster vergleichen durfte, ohne, wie ich es glaubte, von jemand anders als den Dienern im Hause gesehen zu werden – denn wenn ich zur Messe ging, geschah es so früh am Tage, überdies von meiner Mutter und meinen Mägden begleitet, auch so verhüllt und verschleiert, daß meine Blicke kaum mehr Boden sahen als den, wo ich den Fuß hinsetzte – so vermochten es dennoch die Augen der Liebe oder vielmehr der Müßiggang, die schärfer sind als die Augen des Luchses, daß Don Fernando mich bemerkte; denn so heißt der jüngere Sohn des Herzogs, von dem ich erst gesprochen habe.«
Kaum hatte die Erzählerin den Namen des Don Fernando genannt, als Cardenio die Farbe im Gesichte veränderte, wobei ihm in heftiger Erschütterung der Schweiß ausbrach, so daß der Pfarrer wie der Barbier, die auf ihn achtgaben, schon befürchteten, daß er den Anfall von Wahnsinn bekommen möchte, der ihn, wie
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