Don Quixote von la Mancha: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition)
doch Lotario vor, nicht weiter zu gehen, als es die Ehre seines Freundes erlaubte, die er ebenso teuer als seine eigene achtete. Er sagte, und zwar mit Recht, daß der Gatte, dem der Himmel eine schöne Frau geschenkt, in der Wahl seiner Freunde, die er in sein Haus führe, ebenso aufmerksam sein müsse, als in der Auswahl der Freundinnen, mit denen seine Gattin umgehe, denn was auf öffentlichen Plätzen, in Kirchen, bei Feierlichkeiten oder in der Vesper nicht zustande gebracht werden kann (von welchen Orten der Mann die Frau doch nicht immer zurückhalten darf), das wird oft leicht in dem Hause einer Freundin oder Verwandten beschlossen, mit der sie vertrauten Umgang hat. Doch war Lotario auch der Meinung, es sei allen Verheirateten nötig, einen Freund zu haben, der sie auf jede Kleinigkeit aufmerksam machte, die sie etwa unbeachtet lassen möchten. Denn es geschieht leicht, daß die große Liebe, die der Mann zur Frau trägt, ihn abhält, alles zu bemerken, oder es ihr zu sagen, um sie nicht zu erzürnen, damit sie irgend etwas tue oder auch unterlasse, was ihr im entgegengesetzten Falle entweder Ehre oder Schande bringen dürfte; was aber leicht vermittelt werden kann, wenn der Freund beide davon benachrichtigt. Wo ist aber wohl ein so edler und aufrichtiger Freund zu finden, wie ihn Lotario verlangt? Ich weiß nur, daß Lotario selbst für die Ehre seines Freundes so besorgt war, daß er sich stets bemühte, von den Tagen einige abzuziehen, oder sie zu verkürzen, an denen er das Haus seines Freundes nach der Abrede besuchen sollte, damit der müßige Pöbel sowie die umhertreibenden und boshaften Klätscher keinen Anstoß nehmen möchten, einen jungen reichen Edelmann, mit den Vorzügen begabt, die er sich zutraute, das Haus einer so schönen Frau wie Camilla war, oft besuchen zu sehen. Denn wenn auch ihr Edelmut und ihre Tugend den verleumderischen Zungen Zaum und Gebiß anlegen konnte, so wollte er doch ihren guten Namen wie den seines Freundes nicht auf das Spiel setzen, und deshalb brachte er die abgeredeten Tage gewöhnlich anderswo zu, und entschuldigte sich mit Abhaltungen, denen er nicht ausweichen könne, so daß mit Anklagen auf der einen und Entschuldigungen auf der anderen Seite ein großer Teil solches Tages zugebracht wurde.
Es geschah hierauf, daß an einem solchen Tage, als beide über eine Wiese, fern von der Stadt, spazierengingen, Anselmo zu Lotario folgendes sagte:
»Du glaubtest wohl, mein Freund Lotario, daß für die Gnade, die mir Gott erzeigt, von solchen Eltern, wie die meinigen sind, geboren zu sein, daß er mir nicht mit karger Hand die Gaben der Natur, sowie die Güter des Glücks zugeteilt hat, daß ich ihm für diese Geschenke nicht hinlänglich danken kann, vorzüglich aber, weil er mir dich zum Freunde und Camilla zur Gattin gab, zwei Güter, die ich wohl so schätze, wenigstens wie ich kann, wenn auch nicht in dem Grade, wie ich sollte? Doch bin ich, von diesem Glück umringt, das sonst hinreichend ist, den Menschen zufrieden zu machen, der bedrängteste und unglücklichste Mensch, der nur auf Erden zu finden ist, denn ich weiß nicht, seit wie vielen Tagen mich ein so seltsamer, so äußerst ungewöhnlicher Wunsch quält, und der so sehr von allen gewöhnlichen Dingen entfernt liegt, daß ich mich über mich selbst verwundere, mit mir selber schelte und mich vor meinen eigenen Gedanken zu verbergen suche. Und doch suche ich mein Geheimnis zu entdecken, als wenn es mein Wunsch wäre, daß die ganze Welt es erfahren möchte, und da es nun doch einmal heraus muß, so will ich es in dein geheimstes Vertrauen niederlegen, weil ich glaube, daß deine aufrichtige Freundschaft schnell auf ein Mittel denken wird, mich zu heilen, so daß ich mich von dieser Angst befreit sehe und dein Eifer mich ebenso zur Fröhlichkeit zurückführt, wie mein Wahnsinn mich zum Mißvergnügen geführt hat.«
Erwartungsvoll hörte Lotario diese Worte des Anselmo an, weil er sich nicht denken konnte, wohin diese umständliche Vorbereitung führen sollte, er musterte alle seine Vorstellungen, um zu ersinnen, was doch seinen Freund quälen möchte, aber er traf immer sehr fern vom Ziel der Wahrheit. Um also aus dieser peinigenden Ungewißheit gerissen zu werden, sagte er, daß seine Freundschaft dadurch empfindlich gekränkt werde, daß er einen Umweg suche, um ihm seine verborgensten Gedanken mitzuteilen; denn er könnte sich von ihm mit Gewißheit entweder Rat oder Hilfe für jedwede Lage seines
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