Don Quixote von la Mancha: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition)
Lebens versprechen.
»Du hast recht«, antwortete Anselmo, »und auf dieses Vertrauen, mein Freund Lotario, mußt du erfahren, daß das, was mich peinigt, der Zweifel ist, ob meine Gattin Camilla wohl auch so tugendhaft und vollkommen sei, wie ich mir vorstelle: ich kann auch von dieser Wahrheit nicht überzeugt werden, wenn ich sie nicht so auf die Probe stelle, daß diese Probe die Echtheit ihrer Güte so beweist, wie das Gold es durch die Läuterung des Feuers tut, denn ich bin der Meinung, mein Freund, daß ein Weib nicht besser ist, als die andere, wenn sie nicht der Verführung ausgesetzt gewesen, und daß nur die edel zu nennen sei, die keinen Bitten, Geschenken, Tränen und wiederholten Bemühungen eines dringenden Liebhabers weicht; denn wie kann die Frau gut genannt werden, der es ganz an Gelegenheit fehlt, schlecht zu sein? Was bedeutet es, wenn diejenige eingezogen und sittsam ist, der es an Veranlassung fehlt, sich freier zu betragen, oder diejenige, welche weiß, daß der Mann beim ersten Beweise einer Untreue ihr das Leben nehmen würde? So kann ich also diejenige, die nur aus Furcht oder aus Mangel an Gelegenheit tugendhaft ist, nicht so hoch schätzen, wie diejenige, die aus Stürmen und Verfolgungen den Siegerkranz davonträgt. Aus diesen und vielen anderen Gründen, die ich dir noch mitteilen könnte, um meine Meinung eindringlicher zu machen, wünsche ich, daß meine Gattin Camilla durch diese rauhen Wege gehe und im Feuer der Bewerbung geläutert werde, und daß um sie werbe, der Wert genug hat, daß er seine Wünsche wohl auf sie richten dürfte. Kehrt sie, wie ich es glaube, mit der Palme aus diesem Kampfe, so ist mein Glück ohnegleichen, dann kann ich sagen, daß die Lücke meiner Sehnsucht ausgefüllt ist, dann will ich sagen, daß das Schicksal mir jenes tugendhafte Weib zugeführt habe, von dem der Weise fragt: Wer wird sie finden? Kommt es aber anders, als ich mir vorstelle, so wird meine Meinung bestätigt, und ich werde ohne Murren das ertragen, was mich diese gefährliche Probe kosten kann. Also vorausgesetzt, daß nichts von alledem, was du mir gegen mein Vorhaben sagen könntest, mich abhalten wird, es ins Werk zu richten, bitte ich dich, Freund Lotario, daß du es seist, der zu meinem Besten dieses Vorhaben unternimmt; denn ich will dir Gelegenheit geben, es zu tun, ohne daß dir irgend etwas mangeln soll, das nötig ist, dich um ein edles, geehrtes, sittsames und uneigennütziges Weib zu bewerben. Was mich außer anderen Dingen aber dahin bringt, dir dieses gefährliche Unternehmen anzuvertrauen, ist die Überzeugung, daß, wenn Camilla von dir überwunden wird, ihre Besiegung nicht das Letzte nach sich ziehen, sondern nur ein Vorsatz bleiben wird, so wie meine Kränkung in deiner heiligen Verschwiegenheit verborgen bleibt; denn ich weiß, daß sie in allem, was mich betrifft, so stumm wie der Tod ist. Wenn du also willst, daß ich leben bleiben soll – und wie kann es anders sein? – so mußt du sogleich diesen Streit der Liebe beginnen, und zwar nicht lässig und träge, sondern mit all dem Eifer und Fleiß, den mein Vorhaben verlangt und wie es das Vertrauen auf unsere Freundschaft mich hoffen läßt.«
So redete Anselmo zu Lotario, der immer aufmerksam zuhörte und nicht eher als beim Beschluß seine Lippen zum Sprechen öffnete. Da er nun sah, daß jener nichts mehr hinzufügte, betrachtete er ihn eine Weile wie einen Gegenstand, den er noch niemals gesehen und der ihm Verwunderung und Erstaunen erregte, dann sagte er: »Ich muß glauben, Freund Anselmo, daß du mir alles dieses nur zum Scherze gesagt hast, denn hätte ich es für Ernst gehalten, so würde ich deine lange Rede dadurch unterbrochen haben, daß ich ihr nicht zugehört hätte. Ich bin fest der Meinung, entweder du kennst mich nicht, oder ich kenne dich nicht. Aber doch ist es nicht so, denn ich weiß, du bist Anselmo, wie es dir bekannt ist, daß ich Lotario bin; nur muß ich leider denken, du seist nicht derselbe Anselmo, der du warest, wie du mich auch für einen ganz anderen Lotario halten mußt, als ich sein sollte: denn was du mir sagst, kann mein Freund Anselmo nicht sprechen, und was du von mir forderst, kannst du unmöglich von dem Lotario fordern, den du kennst. Denn wie ein Poet sagt, sollen Freunde ihre Liebe und Freundschaft gegeneinander zeigen usque ad aras, was soviel sagen will, daß sie ihre Freundschaft nicht in Dingen zeigen dürfen, die gegen Gott sind. Wenn nun ein Heide so von der
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