Don Quixote von la Mancha: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition)
ich zögere, die Beleidigung, die er mir erwiesen hat, zu rächen, glaube ich die Treue zu verletzen, die ich meinem Gemahl schuldig bin.«
Alles dies hörte Anselmo, und mit jedem Worte, das Camilla sprach, veränderten sich seine Gedanken; da er aber vernahm, daß sie entschlossen sei, Lotario umzubringen, wollte er vortreten und sich zeigen, damit sie es unterließe; er tat es aber nicht, um zu sehen, wie weit sie ihren kühnen und edlen Entschluß ausführen würde, mit dem Vorsatze, zu rechter Zeit zu kommen und sie davon abzuhalten. Indem wurde Camilla von einer starken Ohnmacht befallen, sie warf sich auf ein Bett, das dort stand und Leonella fing bitterlich an zu weinen und zu jammern: »O ich Unglückselige! Sollte ich so elend sein, daß mir hier in den Armen diese schönste Tugendblüte dahinstürbe, diese Krone aller edlen Frauen, dieses Muster der Keuschheit!« nebst anderen Klagen, die jeden, der sie gehört hätte, überzeugen mußten, sie sei die betrübteste und redlichste Magd, und ihre Gebieterin eine neue verfolgte Penelope. Camilla kam bald aus ihrer Ohnmacht wieder zu sich, und indem sie sich erholte, sagte sie: »Warum gehst du nicht, Leonella, und rufst den treulosesten Freund des Freundes, den die Sonne bescheint und die Nacht bedeckt? Fort, gehe, lauf und hole ihn, damit im Verzögern das Feuer meines Zornes nicht verlösche und sich meine gehoffte rechtmäßige Rache nicht in Drohungen und Flüchen verliere.«
»Ich will ihn rufen, gnädige Gebieterin«, sagte Leonella, »aber zuvor sollst du mir diesen Dolch geben, damit du in meiner Abwesenheit nicht etwas tust, was die ganze Lebenszeit hindurch diejenigen, die dich lieben, beweinen müßten.«
»Geh ohne Sorgen fort, liebe Leonella, denn dergleichen will ich nicht tun«, sagte Camilla; »denn wenn du auch glaubst, daß mein Benehmen zu gewagt und töricht für meine Ehre sei, so will ich es doch nicht wie jene Lukrezia machen, die sich selbst ermordete, ohne sich einer Schuld bewußt zu sein, und ohne vorher den umzubringen, der die Ursache ihres Elends war. Auch ich kann sterben, aber vorher will ich an dem vollgenügende Rache nehmen, der mich veranlaßt hat, diesen Ort zu betreten, um seine Frechheit, die ich nicht veranlaßte, zu beweinen.«
Leonella ließ sich noch lange bitten, ehe sie fortging, um Lotario zu rufen; endlich ging sie, und ehe sie wiederkam, sagte Camilla wie zu sich selber sprechend: »Aber beim Himmel, wäre es nicht sicherer gewesen, dem Lotario seine Absicht zu verweisen, wie ich es schon mehr als einmal getan habe, als ihm die Veranlassung zu geben, mich für schlecht und entartet zu halten, wie er wenigstens in der Zwischenzeit tun muß, bis ich ihm seinen Wahn benehme? Ohne Zweifel wäre es besser gewesen; aber ich wäre ohne Rache und die Ehre meines Mannes ohne Genugtuung geblieben, wenn er gesund und unverletzt die Schritte zurückmäße, die er mit so bösen Absichten vorwärts tat. Mit dem Leben bezahle der Verräter, was er mit seinen unzüchtigen Gedanken verbrochen hat, die Welt erfahre (wenn sie sich um diese Begebenheit kümmert), daß Camilla ihrem Gemahl nicht nur ihre Pflicht treu bewahrte, sondern daß sie auch den bestrafte, der diese Pflicht zu verletzen gedachte. Aber doch wäre es vielleicht besser, Anselmo von allem zu benachrichtigen; doch habe ich ihm schon einen Wink in jenem Briefe gegeben, den ich ihm nach dem Dorfe schickte, und wenn er diesen Wink nicht benutzte, so mußte es wohl daher kommen, daß er sich nicht überzeugen konnte, daß in der Brust eines treuen Freundes jemals ein Gedanke entstehen könne, der gegen seine Ehre gerichtet wäre, wie ich es auch lange nicht habe glauben wollen, und niemals glauben würde, wenn seine Unverschämheit nicht so hoch gestiegen, daß mich seine Geschenke, Versprechungen und immerwährende Tränen nur zu sehr davon überzeugen. Doch warum stelle ich jetzt diese Betrachtungen an? Bedarf ein edler Entschluß etwa der Überlegung? Nein, wahrlich nicht! Fort, ihr Zweifel, herbei, du Rache! Er komme, der Falsche, er trete herein, er nähere sich, sterbe, und alles geschehe, was geschehen mag! Rein kam ich in die Arme dessen, den mir der Himmel bestimmte, und rein muß er mich wiederfinden, und sollte ich auch mit meinem keuschen Blute und dem schändlichen Blute des falschesten Freundes bedeckt sein.« Indem sie dieses sprach, ging sie mit gezücktem Dolch durch den Saal, Ihr Gang war so heftig, ihre Haltung so zornig, und ihre Gebärden
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