Don Quixote von la Mancha: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition)
sondern er hat das ganze Alphabet, höre nur zu, denn ich will es dir gleich auswendig hersagen. Nach meiner Meinung ist er nämlich Angenehm, Beständig, Cavalier, Dankbar, Erkenntlich, Freigebig, Galant, Heimlich, Jung, Liebenswürdig, Männlich, Natürlich, Offen, Prächtig, Reich, nun folgen die vier S. S. [6] , dann Tapfer, Vornehm, Wahrhaft, X paßt sich für einen Geliebten nicht, denn es ist ein zu harter, wie Y ein fremder Buchstabe, dann folgt zum Beschluß Z. Zärtlich über deine Ehre.« Camilla lachte über das Alphabet ihres Mädchens und fand sie in Liebessachen erfahrener, als sie sich vorgestellt hatte; diese gestand der Camilla nun, daß sie mit einem jungen, wohlerzogenen Menschen aus der nämlichen Stadt in Verbindung stehe, worüber sich Camilla sehr beunruhigte, weil sie fürchtete, daß dies zum Nachteil ihrer Ehre ausfallen dürfte. Sie forschte nach, ob sie miteinander schon weiter bis zu Worten gekommen wären. Jene antwortete mit weniger Beschämung und vieler Keckheit, daß sie schon vertrauter geworden; denn es ist eine ausgemachte Sache, daß die Unvorsichtigkeiten der Herrschaften dem Gesinde alle Scham nehmen, die, wenn sie ihre Gebieterin nur einen unrechten Schritt tun sehen, sich gleich wenig kümmern, so zu hinken, daß es in die Augen fällt. Camilla konnte nun nichts weiter tun, als Leonella bitten, daß sie ihrem Geliebten nichts von ihrem Verhältnis sagen möchte, und die Sache ja so geheim halten, daß Anselmo so wenig wie Lotario davon erführe. Leonella antwortete, daß sie es tun wolle, aber sie erfüllte so wenig ihr Versprechen, daß Camillas Furcht, ihren guten Ruf zu verlieren, beinahe zur Gewißheit wurde: denn die unverschämte und freche Leonella, als sie sah, daß ihre Gebieterin sich nicht ihrer Pflicht gemäß betrug, wurde so dreist, daß sie ihren Liebhaber zu sich in das Haus ließ, weil sie überzeugt war, daß wenn ihre Gebieterin ihn auch sähe, diese es doch nicht wagen dürfte, die Sache bekannt zu machen. Denn diese Übel ziehen neben anderen auch die Vergehungen der Hausfrauen nach sich, daß sie die Sklavinnen ihrer eigenen Mägde werden und gezwungen sind, deren schändliche Aufführung zu verdecken, wie es auch der Camilla erging; denn ob sie es gleich öfter gewahr wurde, daß Leonella mit ihrem Liebhaber in einem Zimmer des Hauses war, so getraute sie sich doch nicht, sie zu schelten, ja sie gab ihr Gelegenheit, ihn einzuschließen und räumte alles weg, daß er nur nicht von ihrem Manne gesehen würde. Doch konnte sie es nicht verhindern, daß ihn Lotario gesehen hatte, wie er eines Morgens bei Tagesanbruch aus dem Hause ging. Dieser, ohne ihn zu kennen, hielt ihn erst für ein Gespenst, da er ihn aber fortgehen und sich mit größter Sorgfalt in einen Mantel einwickeln und verhüllen sah, kam er von dieser törichten Vorstellung zurück und verfiel auf eine andere, die alle ins Verderben gestürzt hätte, wenn es durch Camilla nicht wäre vermittelt worden. Lotario glaubte nämlich, daß dieser Mann, den er zu so ungewöhnlicher Stunde aus Anselmos Hause hatte gehen sehen, nicht der Leonella wegen gekommen wäre, ja er wußte jetzt nicht einmal, ob eine Leonella in der Welt sei; sondern daß Camilla, wie sie für ihn leichtsinnig gewesen, es auch für einen anderen geworden, denn dies ist die Folge, die die schlechte Aufführung eines Weibes nach sich zieht, daß selbst derjenige an ihrer Ehre zweifelt, auf dessen Bitten und Überredungen sie sich ergeben hat, dieser glaubt, daß sie sich anderen noch schneller ergeben könnte, und so gibt er jeglichem Argwohn Raum, der ihm in den Sinn kommt. So war es auch, als wäre in diesem Augenblicke Lotario völlig von seinem Verstande verlassen worden, und als sei jeder vernünftige Gedanke seinem Gedächtnisse entfallen, denn ohne irgend etwas zu unternehmen, das gut oder nur klug gewesen wäre, ging er ohne weiteres, noch ehe Anselmo aufgestanden war, ungeduldig und blind vor eifersüchtiger Wut, die sein Herz zernagte, darnach dürstend, sich an Camilla zu rächen, die ihn auf keine Weise beleidigt hatte, sogleich zu Anselmo, und sagte zu ihm: »Wisse, Anselmo, daß ich schon seit einigen Tagen mit mir selber gestritten habe und mir selbst Gewalt angetan, dir dasjenige nicht zu sagen, was doch ebenso unmöglich als ungerecht wäre, dir länger zu verhehlen: wisse also, daß Camillas Tugend sich schon ergeben und allem dem unterworfen hat, was ich mit ihr tun möchte, und wenn ich zögerte, dir
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