Don Quixote von la Mancha: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition)
ergangen, daß ich mir die Finger abgenagt hätte, um den Vorschriften zu folgen, und am Ende nichts weiter getan, als einen Stein mit einer Schere zurechtgeschnitten. Ich habe zwar etlichemal die Schauspieler überzeugen wollen, daß die Meinung, die sie haben, irrig sei, und daß sie mehr Leute herbeiziehen und mehr Ehre erwerben würden, wenn sie Komödien darstellten, die nach der Kunst gedichtet sind, als mit jenen unvernünftigen; aber ihr Glaube ist ihnen so tief eingewurzelt, daß ihn kein Beweis und kein Beispiel wieder herausreißen kann. Ich erinnere mich, daß ich einst zu einem von diesen Halsstarrigen sagte: ›Erinnert Ihr Euch nicht mehr, daß vor einigen Jahren in Spanien drei Tragödien vorgestellt wurden, die ein berühmter Poet dieses Reiches gedichtet hatte, und die so beschaffen waren, daß alle, die sie sahen, sich verwunderten und ergötzten, sowohl Unwissende als Verständige, sowohl der große Haufe als die Kenner, und daß den Schauspielern diese drei mehr Geld eintrugen als dreißig der besten, die seitdem gespielt sind?‹ ›Ohne Zweifel‹, versetzte jener Schauspieler, ›meint Ihr die Isabella, Philis und Alexandra?‹
›Wohl meine ich diese‹, antwortete ich, ›nun seht, ob diese nicht alle Vorschriften der Kunst beobachteten und ob sie durch diese Beobachtung wohl anders erschienen, als sie waren, und ob sie nicht aller Welt gefielen; so daß der Fehler nicht im großen Haufen liegt, der Unsinn verlangt, sondern in denjenigen, die keine anderen Sachen vorstellen können. So war auch nichts Unverständiges in der gerächten Undankbarkeit, ebensowenig in der Numancia, noch in dem verliebten Kaufmann, oder in der günstigen Feindin, noch in einigen anderen, die einige verständige Poeten zur Ausbreitung ihres Ruhmes gedichtet haben, und die den Schauspielern reichlichen Gewinn eintrugen.‹ Ich fügte noch einige Dinge hinzu, so daß er in Verwirrung geriet, aber doch noch hinlänglich überzeugt war, daß er seinen Irrtum hätte ablegen können.«
»Ihr seid da auf eine Materie gestoßen, Herr Kanonikus«, sagte hierauf der Pfarrer, »die meinen alten Haß gegen die jetzt gewöhnlichen Komödien wieder erweckt hat, die mir ebenso widerwärtig wie die Ritterbücher sind. Die Komödie soll nach des Tullius Meinung ein Spiegel des menschlichen Lebens sein, ein Musterbild der Sitten, eine Darstellung der Wahrheit; diejenigen aber, die jetzt vorgestellt werden, sind ein Spiegel der Tollheit, ein Musterbild der Narrheit und eine Darstellung der Wollust; denn welchen größeren Unsinn kann es doch in diesen Dingen geben, wovon wir sprechen, als wenn ein Kind in Windeln in der ersten Szene auf die Bühne kommt, und dieses in der zweiten schon ein bärtiger Mann geworden ist? Was ist unsinniger als ein tapferer Greis, ein feiger Jüngling, ein rhetorischer Lakai, ein ratgebender Page, ein König als Sänftenträger und eine Prinzessin als Küchenmagd? Was soll man von jener Art sagen, mit welcher die Zeiten beobachtet werden, in denen es denkbar ist, daß die dargestellten Begebenheiten vorfallen konnten, so daß ich eine Komödie gesehen habe, in der der erste Tag in Europa, der zweite in Asien und der dritte in Afrika schloß; so daß, wenn die Komödie vier Tage oder Handlungen gehabt hätte, der vierte in Amerika geschlossen hätte und die Begebenheit alsdann in allen vier Teilen der Welt vorgefallen wäre? Wenn die Nachahmung ein Haupterfordernis der Komödie ist, wie ist es möglich, daß sich ein kaum mittelmäßiger Verstand damit zufriedenstellen kann, daß erdichtet wird, eine Begebenheit gehe zu den Zeiten des Königs Pipin und Karl des Großen vor und in dem nämlichen Stücke als Hauptperson der Kaiser Heraclius erscheint, der mit dem Kreuze in Jerusalem einzieht und das heilige Grab wie Gottfried von Bouillon erobert, da doch ein unendlicher Zwischenraum zwischen diesen Zeitaltern ist; und wenn die Komödie auf Erdichtungen gegründet ist und dennoch Begebenheiten aus der wirklichen Geschichte hineingezogen werden, und einzelne Bruchstücke von einzelnen Begebenheiten, von verschiedenen Personen und aus mancherlei Zeiträumen darin verwebt, und dies auf keine wahrscheinliche Art, sondern so, daß die Fehler jedem in die Augen fallen und durchaus keine Entschuldigung vertragen? Das schlimmste aber ist, daß es Unwissende gibt, die dies für die Vollkommenheit ausgeben, und daß das andere etwas Unmögliches fordern heiße. Wenn wir nun aber gar von der geistlichen Komödie zu
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