Don Quixote von la Mancha: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition)
wollen wir nur einen Ort suchen, wo wir die Nacht zubringen können.«
»Nicht weit von hier«, antwortete der Vetter, »ist eine Einsiedelei, in welcher ein Eremit wohnt, von dem man sagt, daß er Soldat gewesen, und den man außerdem für einen guten Christen und verständigen und mitleidigen Mann hält. Neben der Einsiedelei steht ein kleines Haus, welches er auf seine Kosten erbaut hat; dies ist zwar nur sehr klein, kann aber doch Gäste beherbergen.«
»Hat denn der Eremit wohl Hühner?« fragte Sancho.
»Wenige Eremiten leben ohne dieselben«, antwortete Don Quixote; »denn die, welche man jetzt findet, gleichen nicht jenen in den ägyptischen Wüsten, die sich mit Palmblättern kleideten und wilde Wurzeln aßen. Ich meine das nicht so, daß, weil ich von diesen gut spreche, ich jene für schlimm halte; sondern ich will nur so viel sagen, daß die Bußübungen von heutzutage nicht jenen von damals an Strenge und Schärfe gleichkommen. Trotz dessen aber sind sie alle gut, wenigstens halte ich sie für gut; und wenn das Schlimme zum Ärgsten kommt, so tut der Heuchler, der sich gut stellt, weniger übel als der offenbare Sünder.«
Indem sie so sprachen, sahen sie, daß ein Mann zu Fuß auf sie loskam, der eilig fortschritt und auf ein Maultier prügelte, welches mit Lanzen und Hellebarden beladen war. Als er zu ihnen gekommen, grüßte er sie und eilte vorüber. Don Quixote sagte zu ihm: »Guter Mann, nicht so hastig; denn es scheint, daß Ihr mehr Eile habt, als der Maulesel vertragen kann.«
»Ich kann mich nicht aufhalten, mein Herr«, antwortete der Mann; »denn die Waffen, die ich hier habe, sollen morgen gebraucht werden, und darum muß ich wohl eilen; Gott befohlen! Wenn Ihr aber wissen wollt, warum ich sie habe, ich denke in der Schenke, die jenseits der Einsiedelei liegt, diese Nacht zu herbergen, und wenn Ihr den nämlichen Weg habt, so findet Ihr mich dort, wo ich Euch Wunderdinge erzählen will; noch einmal Gott befohlen!« Und so trieb er sein Maultier weiter, ohne daß Don Quixote fragen konnte, was es für Wunderdinge wären, die er ihm erzählen wollte; und da er sehr neugierig und immer darauf gespannt war, außerordentliche Dinge zu erfahren, so drang er darauf, daß man sogleich abreisen und die Nacht in jener Schenke zubringen solle, ohne auf die Einsiedelei zu kommen, wo der Vetter vorgeschlagen, daß sie sich aufhalten sollten.
Es geschah so; sie stiegen zu Pferde, und alle drei verfolgten den geradesten Weg nach der Schenke, der sie sich kurz vor Abend näherten. Der Vetter sagte zu Don Quixote, daß sie sich nach der Einsiedelei begeben möchten, um einen Schluck zu trinken. Kaum hörte dies Sancho Pansa, als er sogleich den Grauen darauf lenkte, das nämliche taten Don Quixote und der Vetter; das böse Schicksal Sanchos aber schien es so gefügt zu haben, daß der Eremit nicht zu Hause war, denn dies sagte ihnen ein Unterklausner, den sie in der Einsiedelei fanden. Sie forderten vom Besten. Er antwortete, daß sein Herr dergleichen nicht habe; wenn sie aber frisches Wasser möchten, das wolle er ihnen von Herzen gern geben.
»Wenn mein Herz Wasser verlangt«, antwortete Sancho, »so gibt es Brunnen unterwegs, wo ich mir eine Güte hätte tun können. Ach du Hochzeit des Camacho! O du Überfluß im Hause des Don Diego, wie oft werde ich euch noch vermissen!«
Hiermit verließen sie die Einsiedelei und ritten auf die Schenke zu; sie waren noch nicht weit gekommen, als sie vor sich ein Bürschchen gehen sahen, das nicht eilte, und das sie also bald einholten. Es trug auf der Schulter den Degen und daran ein Bündel oder Päckchen, wahrscheinlich mit seinen Kleidern, die wohl aus den Beinkleidern und Mantel und etlichen Hemden bestehen mochten; denn es hatte einen kurzen Rock von Sammet an, mit Atlas aufgeschlagen, unter dem das Hemd zum Vorschein kam. Die Strümpfe waren von Seide und die Schuhe abgestumpft, wie man sie am Hofe zu tragen pflegt. Es mochte wohl achtzehn oder neunzehn Jahre alt sein. Es hatte ein munteres Gesicht, und sein Körper war, dem Augenscheine nach, gelenkig. Es sang Liederchen, um sich die Länge des Weges zu verkürzen. Als sie zu ihm kamen, beendigte es eben eins, dessen Schluß der Vetter auswendig behielt, und das so soll gelautet haben:
Not und Kummer führt mich jetzt
In den Krieg hinaus,
Hätt’ ich Gut und hätt’ ich Geld,
Blieb ich wohl zu Haus.
Der erste, welcher es anredete, war Don Quixote, der zu ihm sagte: »Mein junger Herr reist da in
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