Don Quixote von la Mancha: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition)
Augen zur Erde nieder und antwortete mit der anmutigsten Scham: »Ich kann nicht, gnädiger Herr, so öffentlich etwas sagen, woran mir so viel liegt, daß es geheim bleibe, nur bitte ich, daß man mir das eine glaubt, daß ich keine Diebin noch sonst eine Verbrecherin bin, sondern ein unglückliches Mädchen, welches die Gewalt der Eifersucht gezwungen hat, den Anstand zu verletzen, den man der Sittsamkeit schuldig ist.«
Als der Haushofmeister dies hörte, sagte er zu Sancho: »Laßt diese Leute abtreten, Herr Statthalter, damit diese Dame mit weniger Zwang das sagen kann, was sie zu sagen hat.«
Dies befahl der Statthalter, alle entfernten sich, außerdem Haushofmeister, dem Speisemeister und dem Sekretär. Als sie allein waren, fuhr das Mädchen mit folgenden Worten fort: »Ich, meine Herren, bin die Tochter des Pedro Perez Mazorca, des Wollenpächters in dieser Stadt, der oft in das Haus meines Vaters zu kommen pflegt.«
»Das reimt sich nicht, Señora«, sagte der Haushofmeister, »denn ich kenne diesen Pedro Perez sehr gut und weiß, daß er keine Kinder hat, weder Knaben noch Mädchen; Ihr sagt auch, daß er Euer Vater sei, und dann setzt Ihr hinzu, daß er oft in das Haus Eures Vaters zu kommen pflege.«
»Es ist mir auch aufgefallen«, sagte Sancho.
»Ach, meine Herren, ich bin so in Verwirrung, daß ich nicht weiß, was ich rede«, antwortete das Mädchen; »die Wahrheit aber ist, daß ich die Tochter des Diego de la Llana bin, der Euch allen bekannt sein muß.«
»Nun, das läßt sich reimen,« antwortete der Haushofmeister, »ich kenne den Diego de la Llana und weiß, daß er ein vornehmer und reicher Edelmann ist, der einen Sohn und eine Tochter hat. Seit er Witwer ist, gibt es aber keinen in diesem ganzen Orte, der sagen könnte, daß er das Gesicht seiner Tochter gesehen habe, denn er hält sie so eingeschlossen, daß er selbst der Sonne nicht erlaubt, sie zu beschauen, dessenungeachtet sagt das Gerücht, daß sie von außerordentlicher Schönheit sein soll.«
»Dies ist wahr«, antwortete das Mädchen, »und ich bin diese Tochter; ob das Gerücht von meiner Schönheit lügt oder nicht, darüber seid Ihr nun, meine Herren, außer Zweifel, denn Ihr habt mich gesehen« – und bei diesen Worten fing sie an bitterlich zu weinen. Als der Sekretär dies sah, sagte er dem Speisemeister leise ins Ohr: »Gewiß muß diesem armen Mädchen etwas von Wichtigkeit begegnet sein, da sie in dieser Kleidung und zur Nachtzeit, wo sie doch von vornehmer Familie ist, ihr Haus verlassen hat.«
»Das leidet keinen Zweifel,« antwortete der Speisemeister, »und um so weniger, da ihre Tränen diesen Argwohn bestätigen.« Sancho tröstete sie mit den besten Worten, die er finden konnte, und bat sie, ihm ohne Scheu alles zu sagen, was ihr begegnet sei, denn sie alle würden sich bemühen, ihr auf alle mögliche Weise Hilfe zu leisten.
»Die Sache, meine Herren, ist diese«, antwortete sie; »es sind nun zehn Jahre, daß mich mein Vater eng eingeschlossen hält, denn seit so lange ist meine Mutter in ihr Grab gelegt. Im Hause wird in einem schönen Oratorium die Messe gelesen, und in dieser ganzen Zeit habe ich nichts gesehen als am Tage die Sonne des Himmels und in der Nacht den Mond und die Sterne, ich weiß aber nicht, was Gassen, Plätze, Kirchen oder selbst Menschen sind, meinen Vater und meinen Bruder ausgenommen und den Pächter Pedro Perez, der oft in unser Haus kommt, weshalb es mir einfiel, ihn zu meinem Vater zu machen, um den meinigen nicht zu nennen. Daß ich so eingeschlossen bin und nicht aus dem Hause darf, nicht einmal in die Kirche, hat mich schon seit vielen Tagen und Monaten ganz trostlos gemacht, ich wollte gern die Welt sehen oder wenigstens den Ort, wo ich geboren bin, denn das schien mir nicht gegen den Anstand zu streiten, den vornehme Mädchen sich selbst immer schuldig sind. Wenn ich erzählen hörte, daß man Stiergefechte und Turniere halte und Komödien aufführe, so ersuchte ich meinen Bruder, der ein Jahr jünger ist als ich, er möchte mir doch erklären, was das und noch vieles andere für Dinge wären, die ich niemals gesehen hatte; er sagte mir auch alles, so gut er es nur konnte, aber alles das entzündete nur noch mehr meinen Wunsch, es selbst zu sehen. Kurz, um die Erzählung meines Unglücks nicht zu verlängern, ich ersuchte und bat meinen Bruder – o daß ich ihn niemals darum ersucht, niemals darum gebeten hätte!« – Und so fing sie von neuem ihre Wehklage an.
Der
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