Don Quixote von la Mancha: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition)
Haushofmeister sagte: »Fahrt fort, Señora, und erzählt uns endlich, was Euch begegnet ist, denn Eure Worte und Eure Tränen halten uns alle in der gespanntesten Erwartung.«
»Nur wenige Worte sind mir noch übrig«, versetzte die Jungfrau, »aber Tränen zu weinen desto mehr, denn die schlecht überlegten Wünsche können nur dergleichen Unfälle nach sich ziehen.«
Auf das Herz des Speisemeisters hatte die Schönheit des Mädchens einen tiefen Eindruck gemacht, er leuchtete mit seiner Laterne noch einmal, um sie von neuem zu betrachten, und ihm war es, als wenn sie nicht Tränen weinte, sondern Perlen oder den Tau der Wiesen, ja sie erschienen ihm noch edler, denn er verglich sie mit den orientalischen Edelgesteinen und wünschte innig, ihr Unfall möchte nicht so groß sein, als man aus ihren Klagen und Seufzern allerdings schließen konnte. Der Statthalter war in Verzweiflung, daß das Mädchen mit so vielen Umständlichkeiten den Schluß ihrer Geschichte verzögerte; er sagte, sie möchte nun nicht länger ihrer aller Erwartung gespannt erhalten, denn es sei spät und er müsse noch viele Gegenden der Stadt besuchen. Von Schluchzen und tiefen Seufzern häufig unterbrochen, fuhr sie fort: »Etwas anderes ist nun nicht mein Unglück oder mein Mißgeschick, als daß ich meinen Bruder bat, er möchte mich eins von seinen Mannskleidern anziehen lassen und in einer Nacht mit mir aus dem Hause gehen, um die ganze Stadt zu sehen, indes unser Vater schliefe. Er, von meinen Bitten bestürmt, willigte in mein Begehren, ich zog mir hierauf dieses Kleid an, und er nahm sich ein anderes von den meinigen (das ihm ganz natürlich steht, denn er hat noch keinen Bart und sieht aus wie das schönste Mädchen); in dieser Nacht also, es ist vielleicht erst eine Stunde her, etwas mehr oder etwas weniger, gingen wir aus dem Hause, und von unserem unreifen und unklugen Verlangen geführt, sind wir den ganzen Ort durchstrichen, und als wir nun nach Hause zurückgehen wollten, sahen wir einen großen Trupp Menschen, worauf mein Bruder zu mir sagte: ›Schwester, das wird die Ronde sein, mach’ deine Beine leicht und flüchtig und laufe mir nach, daß sie uns nicht kennen, es würde uns sonst übel gehen.‹ Und mit diesen Worten wandte er sich um und fing an nicht zu laufen, sondern wirklich zu fliegen; ich fiel nach weniger als sechs Schritten nieder vor Schreck, und der Diener der Gerechtigkeit nahm mich gefangen und führte mich vor Euer Gnaden, wo ich mich als eine schlechte und leichtsinnige Person beschämt vor so vielen Menschen sehen muß.«
»Und sonst, Señora«, fragte Sancho, »ist Euch kein Unfall begegnet, noch hat Euch Eifersucht aus Eurem Hause getrieben, wie Ihr im Anfange Eurer Erzählung sagtet?«
»Mir ist nichts weiter begegnet, auch hat mich keine Eifersucht herausgetrieben, sondern bloß der Wunsch, die Welt zu sehen, der sich nicht weiter erstreckte, als die Gassen dieser Stadt zu betrachten.« Um das als Wahrheit zu bestätigen, was das Mädchen gesagt hatte, brachten die Häscher jetzt ihren Bruder herbei, den einer von ihnen ergriffen hatte, als er von seiner Schwester entflohen war. Er hatte nichts als einen kostbaren Rock an und einen Mantel von himmelblauer Seide mit goldener Stickerei, den Kopf ohne Bedeckung und ohne allen anderen Schmuck als seine eigenen Haare, welche Ringe von Gold waren, so gelb und gelockt wie sie erschienen. Der Statthalter, der Haushofmeister und der Speisemeister entfernten sich mit ihm und fragten ihn, ohne daß es seine Schwester hörte, wie er in diese Kleidung komme. Worauf er ebenso schamhaft und zögernd das nämliche erzählte, was seine Schwester erzählt hatte, worüber der verliebte Speisemeister großes Vergnügen empfand. Der Statthalter aber sagte zu ihnen: »Wahrlich, meine Freunde, dies ist eine große Kinderei gewesen, und um diese Torheit und dieses Wagestück zu erzählen, bedurfte es nicht so vieler Vorreden, so wenig wieder vielen Fragen und Seufzer, ihr durftet nur sagen, wir sind der und die, wir sind aus dem väterlichen Hause spazierengegangen, mit dieser Verkleidung aus bloßer Neugier, ohne eine andere Absicht, und damit war die Geschichte zu Ende, aber nicht soviel Ach! Himmelchen! und lieber Gottchen! und immer auf demselben Flecke bleiben. All das Seufzerwesen und Tränenvergießen fiel weg.«
»Das ist wahr«, antwortete das Mädchen; »aber Euer Gnaden muß wissen, daß die Verwirrung, in der ich mich befand, so groß gewesen ist, daß ich
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