Don Quixote
er die abgeredeten Tage gewöhnlich anderswo zu und entschuldigte sich mit Abhaltungen, denen er nicht ausweichen könne, so daß mit Anklagen auf der einen und Entschuldigungen auf der andern Seite ein großer Teil solches Tages zugebracht wurde.
Es geschah hierauf, daß an einem solchen Tage, als beide über eine Wiese, fern von der Stadt, spazierengingen, Anselmo zu Lotario folgendes sagte:
»Du glaubst wohl, mein Freund Lotario, daß für die Gnade, die mir Gott erzeigt, von solchen Eltern, wie die meinigen sind, geboren zu sein, daß er mir nicht mit karger Hand die Gaben der Natur sowie die Güter des Glücks zugeteilt hat, daß ich ihm für diese Geschenke nicht hinlänglich danken kann, vorzüglich aber, weil er mir dich zum Freunde und Camilla zur Gattin gab, zwei Güter, die ich wohl so schätze, wenigstens wie ich kann, wenn auch nicht in dem Grade, wie ich sollte? Doch bin ich, von diesem Glück umringt, das sonst hinreichend ist, den Menschen zufrieden zu machen, der bedrängteste und unglückseligste Mensch, der nur auf Erden zu finden ist: denn ich weiß nicht, seit wie lange mich ein so seltsamer, so äußerst ungewöhnlicher Wunsch quält, und der so sehr von allen gewöhnlichen Dingen entfernt liegt, daß ich mich über mich selbst verwundere, mit mir selber schelte und mich vor meinen eignen Gedanken zu verbergen suche; und doch such ich mein Geheimnis zu entdecken, als wenn es mein Wunsch wäre, daß die ganze Welt es erfahren möchte, und da es nun doch einmal ausbrechen muß, so will ich es in dein geheimstes Vertrauen niederlegen, weil ich glaube, daß deine aufrichtige Freundschaft schnell auf ein Mittel denken wird, mich zu heilen; so daß ich mich von dieser Angst befreit sehe und dein Eifer mich ebenso zur Fröhlichkeit zurückführt, wie mein Wahnsinn mich zum Mißvergnügen geführt hat.«
Erwartungsvoll hörte Lotario diese Worte des Anselmo an, weil er sich nicht denken konnte, wohin diese umständliche Vorbereitung führen sollte; er musterte alle seine Vorstellungen, um zu ersinnen, was doch seinen Freund quälen möchte, aber er traf immer sehr fern vom Ziele der Wahrheit ; um also aus dieser peinigenden Ungewißheit gerissen zu werden, sagte er, daß seine Freundschaft dadurch empfindlich gekränkt werde, daß er einen Umweg suche, um ihm seine verborgensten Gedanken mitzuteilen; denn er könnte sich von ihm mit Gewißheit entweder Rat oder Hülfe für jedwede Lage seines Lebens versprechen.
»Du hast recht«, antwortete Anselmo, »und auf dieses Vertrauen, mein Freund Lotario, mußt du erfahren, daß das, was mich peinigt, der Zweifel ist, ob meine Gattin Camilla wohl auch so tugendhaft und vollkommen sei, wie ich mir vorstelle; ich kann auch von dieser Wahrheit nicht überzeugt werden, wenn ich sie nicht so auf die Probe stelle, daß diese Probe die Echtheit ihrer Güte so beweist, wie das Gold es durch die Läuterung des Feuers tut: denn ich bin der Meinung, mein Freund, daß ein Weib nicht besser ist als das andere, wenn es nicht der Verführung ausgesetzt gewesen, und daß nur das edel zu nennen sei, das keinen Bitten, Geschenken, Tränen und wiederholten Bemühungen eines dringenden Liebhabers weicht; denn wie kann die Frau gut genannt werden, der es ganz an Gelegenheit fehlt, schlecht zu sein? Was bedeutet es, wenn diejenige eingezogen und sittsam ist, der es an Veranlassung fehlt, sich freier zu betragen, oder diejenige, welche weiß, daß der Mann beim ersten Beweise einer Untreue ihr das Leben nehmen würde? So kann ich also diejenige, die nur aus Furcht oder aus Mangel an Gelegenheit tugendhaft ist, nicht so hoch schätzen wie diejenige, die aus Stürmen und Verfolgungen den Siegerkranz davonträgt. Aus diesen und vielen andern Gründen, die ich dir noch mitteilen könnte, um meine Meinung eindringlicher zu machen, wünsche ich, daß meine Gattin Camilla durch diese rauhen Wege gehe und im Feuer der Bewerbung geläutert werde und daß um sie werbe, der Wert genug hat, daß er seine Wünsche wohl auf sie richten dürfte; kehrt sie, wie ich es glaube, mit der Palme aus diesem Kampfe, so ist mein Glück ohnegleichen; dann kann ich sagen, daß die Lücke meiner Sehnsucht ausgefüllt ist, dann will ich sagen, daß das Schicksal mir jenes tugendhafte Weib zugeführt habe, von dem der Weise fragt : ›Wer wird sie finden?‹ Kommt es aber anders, als ich mir vorstelle, so wird meine Meinung bestätigt, und ich werde ohne Murren das ertragen, was mich diese gefährliche Probe
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