Don Quixote
sich der Gesang der tief verwundeten Altisidora, und die Schwermut des geliebten Don Quixote begann. Dieser, einen tiefen Seufzer ausstoßend, sagte zu sich selber: Warum muß ich ein solcher unglückseliger Irrender sein, daß keine Jungfrau mich sehen kann, ohne sich in mich zu verlieben? Warum muß denn so großer Jammer die unvergleichliche Dulcinea von Toboso betreffen, daß man sie nicht ganz allein meine beispiellose Treue will genießen lassen? Was wollt Ihr denn von ihr, Königinnen? Warum verfolgt Ihr sie, Kaiserinnen? Weshalb bekämpft Ihr sie, Jungfrauen von vierzehn und funfzehn Jahren? Laßt, laßt doch diese Unglückliche, daß sie in ihrem Schicksale triumphiere, es genieße und sich dessen freue, was ihr die Liebe hat verleihen wollen, indem sie ihr mein Herz übergab und meine Seele unterwarf. Bedenke doch, verliebte Schar, daß ich nur für Dulcinea von Teig und Biskuit bin, für alle andern aber von Kieselstein, für sie bin ich Honig, für Euch andern Wermut; für mich ist nur Dulcinea schön, verständig, tugendhaft, anständig und von edler Geburt, alle übrige aber sind häßlich, töricht, frech und von gemeinem Herkommen; nur um der Ihre und keiner andern zu sein, hat mich die Natur geboren werden lassen. Altisidora mag klagen oder weinen, jene Herrin mag verzweifeln, um derentwillen man mich im Kastell des verzauberten Mohren prügelte, denn ich bin und bleibe der Dulcinea, gekocht oder gebraten, rein, von guten Sitten und tugendhaft, allen Hexenkünsten auf der ganzen Erde zum Trotz. Und mit diesen Worten warf er das Fenster heftig zu, und verdrüßlich und schwermütig, als wenn ihm eine große Widerwärtigkeit zugestoßen wäre, warf er sich auf sein Bett, wo wir ihn
für jetzt lassen wollen, weil uns der große Sancho Pansa ruft, der seine berühmte Statthalterschaft eben beginnen will.
12. [45.] KAPITEL
Wie der große Sancho Pansa Besitz von seiner Insel
nahm, und auf welche Weise er anfing zu regieren
O du beständiger Besucher der Antipoden, du Fackel der Welt, Auge des Himmels, süßer Beweger aller Trinkgeschirre! Hier Thymbraeus, dort Phoebus, hüben Bogenschütze, drüben Arzt, Vater der Poesie, Erfinder der Musik, du, der du immer aufsteigst und niemals, scheint es gleich so, dich niederlässest : Dich rufe ich an, o Sonne, durch deren Beistand der Mensch den Menschen zeugt ; dich rufe ich an, daß du das Dunkel meines Geistes erhellest und anlächelst, damit ich, dem Gegenstand angemessen, in allem die Erzählung vom Regimente des großen Sancho Pansa vortragen könne, denn ohne dich fühle ich mich nur lau, unerleuchtet und verwirrt.
Sancho kam also mit seinem ganzen Gefolge in einen Ort, der ungefähr tausend Einwohner faßte und der einer der vornehmsten war, welche der Herzog besaß. Man machte ihn glau ben, daß er die Insel Barataria hieße, vielleicht weil der Ort selbst den Namen Barataria führte. Als er sich den Toren der Stadt näherte, denn sie war mit einer Mauer umgeben, kam ihm der Magistrat entgegen, um ihn zu empfangen; man läutete die Glocken, alle Einwohner bezeigten eine außerordentliche Fröhlichkeit und führten ihn in großem Pomp zur Hauptkirche, um Gott Dank zu sagen; worauf sie ihm mit einigen lächerlichen Zeremonien die Schlüssel der Stadt übergaben und ihn zum beständigen Statthalter der Insel Barataria annahmen. Die Tracht, der Bart, die Dicke und Kleinheit des neuen Statthalters setzte alle Leute in Verwunderung, die um das Ding nicht wußten, und selbst diejenigen, welche den Zusammenhang kannten, welches nicht wenige waren. Endlich, nachdem man ihn aus der Kirche getragen, führten sie ihn zum Richterstuhl und setzten ihn hinein, worauf der Haushofmeister des Herzogs zu ihm sagte: »Es ist ein alter Gebrauch auf dieser Insel, Herr Statthalter, daß derjenige, der von dieser großen Insel Besitz nehmen will, verpflichtet ist, auf eine Frage zu antworten, die man ihm vorlegt und die etwas verwickelt und schwierig sein muß; aus der Antwort können die Einwohner den Geist ihres neuen Statthalters erraten und haben Gelegenheit, sich seiner Ankunft zu erfreuen oder sich zu betrüben.«
Indes der Haushofmeister dies dem Sancho sagte, betrachtete dieser eine Anzahl von großen Buchstaben, die seinem Stuhle gegenüber auf der Wand geschrieben standen, und da er nicht lesen konnte, fragte er, was die Malerei zu bedeuten habe, die sich dort auf der Mauer befinde. Jener antwortete: »Gnädiger Herr, dort steht der Tag geschrieben und
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