Donaugrund (German Edition)
Karmalounge noch gesehen. Mit ganz vielen ›Vielleichts‹ und ›Wahrscheinlichs‹ natürlich.« Er legte die Akte auf seinem Schoß ab, ohne aufzusehen.
»Und wie viele behaupten, er wäre schon vorher verschwunden?«
»Der Rest«, antwortete er zögerlich und blätterte weiter. »Hundertsechs Mitarbeiter insgesamt. Kann man also durchaus als Mehrheitsbeschluss durchgehen lassen.« Raphael überflog rasch die nächsten Seiten und gelangte schließlich zum Ende der Akte. »Weniger einig ist man sich darüber, ob Wahlner betrunken war. Die meisten behaupten zwar, er hätte kaum was getrunken, aber trotzdem decken die Aussagen die komplette Palette ab – von ›stocknüchtern‹ bis ›rotzbesoffen‹ ist alles dabei.« Sichtlich irritiert wandte er sich Herbert zu. »Hast du schon mit Moritz oder Max geredet?«
Herbert sah ihn mit scheinheiliger Miene an. »Ich dachte, das macht ihr lieber selbst. Ist doch besser, als sämtliche Infos über hunderttausend Ecken zu kriegen.«
» Eine Ecke«, antwortete Raphael. »Und sei ehrlich: Du hattest einfach keinen Bock, oder?«
»Na ja …« Herbert blinzelte verschämt in seine Kaffeetasse.
Mit einem tadelnden Blick in seine Richtung wählte ich Moritz’ Durchwahl und bat ihn zu uns ins Büro.
Es dauerte keine Minute, bis er lässig hereingeschlendert kam. »Es geht um den Vermisstenfall?«, fragte er und strubbelte sich durch seine ohnehin schon widerspenstigen braunen Locken.
»Der jetzt ein Todesfall ist, ja«, antwortete ich und musste unweigerlich lächeln, weil Moritz mich plötzlich so gebannt ansah. »Die Fahndung nach Wahlner könnt ihr also guten Gewissens abblasen. Danke übrigens für die Akte«, fuhr ich fort und wies mit dem Kopf auf Raphael, der mit den Unterlagen in der Hand an meinem Schreibtisch lehnte.
»Die Wasserleiche, die heute in Bach gefunden wurde«, erklärte Raphael. »Erzähl doch mal, was ihr bei euren Ermittlungen rausgefunden habt.« Die Akte war zwar ordentlich geführt worden, aber es konnte nie schaden, die festgehaltenen Erkenntnisse mit ein paar persönlichen Eindrücken anzureichern.
»Also, nachdem seine Frau ihn als vermisst gemeldet hat«, begann Moritz, »haben wir natürlich zuerst mit einem derjenigen geredet, die ihn zuletzt gesehen haben. Sascha Hoyer – das war der zweite Teilhaber in dieser seltsamen Firma.« Moritz verzog das Gesicht, als hielte man ihm gammligen Donaufisch unter die Nase. HEUREKA musste ihm ja ziemlich unsympathisch gewesen sein. »Der hat ausgesagt, dass er Wahlner zuletzt im Salzstadel gesehen hat. Angeblich hat er sich zu diesem Zeitpunkt blendend amüsiert – und war vor allem nüchtern.«
»Ob das stimmt, wissen wir ja bald. Für mich klingt das allerdings immer noch nach Unfall im Suff«, brummte Herbert.
»Abwarten. Und dann ist Wahlner einfach verschwunden?«, wandte ich mich wieder an Moritz.
»Genau. Ohne dass es jemand beobachtet hat. Wir haben dann natürlich angefangen, Befragungen durchzuführen und nach ihm zu fahnden, haben aber weder eine nennenswerte Spur noch einen konkreten Hinweis auf eine Straftat gefunden. Auch die Vermutung, dass er in die Donau gefallen ist, gab’s natürlich. Aber …« Nachdenklich kratzte er sich am Kinn, wo ein nur spärlicher Bartwuchs seiner jugendlichen Ausstrahlung keinen Abbruch tat.
»War er mit dem Auto in Regensburg?«, fragte Raphael und blätterte wieder suchend durch die Akte.
»Ja«, antwortete Moritz prompt. »Er hatte es auf dem Firmenparkplatz abgestellt. Dort stand es noch immer, unversehrt. Ein paar Tage später haben wir seine Frau informiert, dass sie es abholen kann.«
»Ihr habt es hoffentlich erkennungsdienstlich behandeln lassen?«, fragte ich.
»Natürlich. Es wurde aber nichts Außergewöhnliches gefunden. Deshalb haben wir den Wagen dann auch wieder freigegeben.«
»Also kein Abschiedsbrief? Und auch sonst nichts, was einen freiwilligen Abgang erklären würde?«
Moritz schüttelte bedauernd den Kopf.
»Dann erzähl doch mal ein bisschen von dieser Firma.« Seine offensichtliche Abneigung hatte mich an Beate Wahlners ausweichende Antwort erinnert und hellhörig werden lassen.
»Ja, also …« Wieder wuschelte er sich aufgeregt durch die Locken. Kein Wunder, schließlich schlug er sich im K3 meistens mit langatmigen Betrugsdelikten herum – da war ein Vermisstenfall, der zum Todesfall avancierte, natürlich eine spannende Abwechslung. »Bei HEUREKA herrscht eine wirklich seltsame Stimmung. Einerseits wirken
Weitere Kostenlose Bücher