Donaugrund (German Edition)
Urlauber, gut erholt?« hinzu und setzte mich auf meinen Platz. Das hatte perfekt funktioniert, ich war stolz auf mich. Ich war nicht gestolpert, hatte nicht gestottert und war auch ansonsten nicht verhaltensauffällig geworden. Mit einem leisen Aufatmen erweckte ich meinen Rechner zum Leben und schlüpfte aus meiner Lederjacke.
»So gut erholt wie bei diesem Schmuddelwetter eben möglich«, hörte ich Raphael antworten. Widerwillig wandte ich mich ihm zu. Das war ein Fehler. Beim Betreten des Büros hatte ihn mein Blick nur kurz gestreift, aber jetzt erschlug mich seine Frontalansicht – bildlich gesprochen. Nach zweiwöchiger Abstinenz erschien er mir gleich noch attraktiver. Nur mühsam hielt ich mich davon ab, ihn anzuspringen.
Dieses sagenhafte Lausbubenlächeln beherrschte er aber auch zu gut. Seine Zähne blitzten, ebenso seine klaren grünen Augen. Die im Nacken zusammengebundenen dunkelblonden Haare und der Dreitagebart betonten seine markanten Gesichtszüge – und seine vollen, wohlgeformten Lippen … Nein, nicht die Lippen ansehen, Sarah! Das hilft dir nicht, einen kühlen Kopf zu bewahren. Was dann? Die Schultern? Breit und kräftig. Plötzlich fühlte ich mich schrecklich schwach. Vielleicht die Brust? In Gedanken riss ich ihm den blauen Kapuzenpulli vom Leib und sank willenlos gegen ebendiese. Himmel, was nun? Ich konnte wohl kaum seinen linken Schuh anstarren, nur um meiner inneren Ekstase ein Ende zu bereiten. Außerdem: Wer weiß, ob das funktioniert hätte? Vielleicht sollte ich lieber mal wieder was sagen. Ja, das war eine gute Idee. Aber was? »Danke für die Postkarte«, brachte ich schließlich tonlos hervor.
»Postkarte?« Herberts Stimme drang wie durch Watte zu mir durch. »Ich dachte, du warst nicht weg?«
»Nur ein paar Tage bei meiner Schwester in Düsseldorf. War nicht gerade mein exotischster Urlaub«, antwortete Raphael.
»Ach so.« Herbert sah von Raphael zu mir und wieder zurück, kratzte sich am Bauch, über dem das obligatorische Karohemd gefährlich spannte, stand auf, brummte irgendetwas von »Kaffee holen« vor sich hin und schickte sich an, das Büro zu verlassen.
Nein! Bitte, lieber, guter, alter Herbert, bleib! Lass mich jetzt nicht mit ihm allein! Das kannst du nicht machen!
Er konnte wohl.
Raphael war ebenfalls aufgestanden und sah mich nachdenklich an. Dann kam er auf mich zu und lehnte sich an meinen Schreibtisch. Viel zu nah, schoss es mir durch den Kopf. Widerwillig sah ich zu ihm auf.
»Hast du die Postkarte auch gelesen ?«, fragte er.
Ich nickte stumm.
»Und verstanden ?«
Sein durchdringender Blick machte mich noch nervöser. Wieder nickte ich wortlos. Meine Hände zitterten, sodass ich sie ineinanderschlang. Völlig umsonst, auch ineinandergeschlungen zitterten sie noch. Was Raphael bemerkte, da war ich mir sicher.
Ratlos sah er mich an. »Okay, dann …« Er brach ab, schüttelte den Kopf, drehte sich achselzuckend um und setzte sich wieder an seinen Platz.
Oh mein Gott! Das war schlimmer als befürchtet. Wenn nur meine verdammten Hände endlich aufhören würden zu zittern … Falls Sie gerade etwas Valium griffbereit haben, ich könnte es gut gebrauchen. Schon gut, zur Not tun’s auch Globuli.
Verstehen Sie das? Warum hört er nicht endlich auf, die einzige Frau (also mich) weichzukochen, die nicht bereit ist, allein bei seinem Anblick willenlos und seufzend in sein Bett zu sinken? Nein, ich werfe meine Prinzipien nicht über Bord! Dafür habe ich mit Affären am Arbeitsplatz einfach zu schlechte Erfahrungen gemacht. Oder genauer gesagt: eine schlechte Erfahrung, mit der einzigen Affäre am Arbeitsplatz, auf die ich mich im Laufe meines Lebens eingelassen habe. Der Psychokrieg damals hat meinen Bedarf ein für alle Mal gedeckt.
Und von Männern der Marke »Ladykiller« halte ich mich ohnehin lieber fern – so handhabe ich das schließlich seit Jahren. Und bin dabei gesund, glücklich, zufrieden … Na ja, manchmal ist mir ein bisschen langweilig. Aber besser Langeweile als Gefühlschaos, will ich meinen!
Obwohl ich ja zugeben muss: Meine Gefühle für Kollege Knackarsch haben in den letzten Monaten auch ohne Affäre schon reichlich Kapriolen geschlagen. Gemeinhin gelingt es mir zwar, die Oberhand zu behalten – als zuverlässiges Mittel hat sich der Gedanke an eine Horde züchtig gekleideter, ungeschminkter Feministinnen mit Spruchbändern und Molotowcocktails erwiesen, die laut »Never fuck the company!« skandieren.
Nur …
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