Donaugrund (German Edition)
wahrheitsgemäß. »Vielleicht finde ich deswegen André Königs Erklärung mit der Verdrängungstaktik so nachvollziehbar.« Ich hoffte, das Thema LKA damit fürs Erste wieder zu den Akten legen zu können.
»Ich kann das einfach nicht.« Er zog das Zopfband aus den Haaren, versuchte, die welligen dunkelblonden Strähnen mit den Fingern zu glätten, und band das Haar ebenso achtlos wie streng wieder zusammen. »Das konnte ich noch nie, verdammt. Ich schaffe es vielleicht gerade noch eine Weile, nicht darüber zu reden, aber ich denke ständig darüber nach. Wie besessen.«
»Soll ich einen Exorzisten rufen?« Immerhin war die Vatikan-Connection Regensburgs nicht allzu schlecht, da durfte die Organisation von ein bisschen katholischer Teufelsaustreibung doch nicht besonders schwierig sein.
»Dafür ist es zu spät.« Der ernste Blick aus Raphaels grünen Augen traf mich bis ins Mark. »Ich habe nachgedacht, Sarah. Aber all meine Überlegungen führen ins Nichts, solange –« Mit einem hilflosen Achselzucken brach er ab.
Ich gab auf. Anscheinend hatte ich keine Chance, diesem Gespräch zu entrinnen. Und insgeheim wusste ich, dass ich auch kein Recht dazu hatte. »Na gut«, seufzte ich schicksalsergeben. »Solange was?«
»Solange ich das Gefühl habe, bei deiner Entscheidung absolut keine Rolle zu spielen.« Da war sie wieder, die Sorgenfalte. Und ich dumme Kuh war schuld daran.
»Aber das stimmt doch nicht«, widersprach ich lahm.
Kapiert er denn wirklich nicht, dass er eine viel größere Rolle spielt, als er nach nur zwei Monaten Beziehung sollte?
So geknickt, wie er mich ansieht: nein.
Ja, ich weiß, Sie finden jetzt wieder, ich sollte ihm das doch endlich mal sagen. Aber das kann ich nicht! Es ist, als säßen alle Feministinnen des 20. und 21. Jahrhunderts auf meiner linken Schulter, alle Erinnerungen an unentschlossene Männer, unter denen ich oder eine meiner Freundinnen jemals zu leiden hatte, auf meiner rechten, und alle raunen mir zu: »Mach dich nicht lächerlich! Hast du immer noch nicht kapiert, was wir dir seit Jahren einzutrichtern versuchen? Schließlich ist eine Frau ohne Mann wie ein Fisch ohne Fahrrad, nicht wie ein Fisch ohne Flossen!«
Und zu allem Überfluss gesellt sich nun auch noch meine Großmutter mit erhobenem Zeigefinger dazu: »Willst du was gelten, mach dich selten, Mädchen!«
Argh, irgendwie hilft mir diese ganze Bagage gerade gar nicht weiter.
Raphael löste sich von mir, stand auf und holte sich eine Zigarette aus meiner Handtasche und den Aschenbecher aus der Küche. Mein schlechtes Gewissen wuchs ins Unermessliche.
»Tust du mir bitte einen Gefallen?«, fragte er, als er wieder neben mir saß und die Zigarette brannte. »Sag mir bitte, wie du dich entschieden hast, bevor es sich herumspricht. Geht das?«
Ich nickte betroffen und betrachtete sein Profil, die kräftigen Wangenknochen, den kaum sichtbaren kleinen Höcker auf der Nase, der noch von der Fraktur im letzten Herbst zeugte, das markante Kinn, die vollen Lippen, die so wundervoll küssen konnten, und die sonst so strahlenden Augen, die müde die Zigarette in seiner Hand fixierten.
Ich hatte ihm mit meinem Schweigen wehgetan, wieder einmal. Und kapierte erst jetzt, wie sehr. Dabei hatte ich mir doch geschworen, dass das nie wieder passieren sollte. »Versprochen«, flüsterte ich.
Er zog mit einer Intensität an seiner Zigarette, die er sich normalerweise für die schlimmsten Stresssituationen aufsparte.
Es half wohl nichts, ich musste ehrlich sein. Und ich wusste wirklich nicht, ob ihn das beruhigen würde. Aber ich war es ihm einfach schuldig, ihn endlich teilhaben zu lassen, wenigstens ein wenig. »Es ist nur so«, fing ich an, »dass sich jede Entscheidung falsch anfühlt, verstehst du? Weil ich jetzt schon weiß: Irgendwann werde ich sie bereuen, egal wie sie ausfällt!«
Es war so frustrierend, und ich hasste es. Und ich hasste das LKA und den Chef dafür, mich in diese Zwickmühle gebracht zu haben, die einfach keinen guten Ausgang nehmen konnte. Mühsam zwang ich die Wuttränen hinunter, die sich ihren Weg in meine Augen bahnten. »Gehe ich nach München, und wir trennen uns, dann werde ich mich am ersten Tag, an dem mich mein Job nervt, dafür hassen, dass mir meine Karriere wichtiger war als mein Privatleben! Und bleibe ich hier und lasse diesen Job sausen, dann werde ich mich ab dem Tag, an dem wir uns trennen, auf ewig dafür verfluchen, wegen meiner verdammten Gefühlsduselei hiergeblieben
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