Donaugrund (German Edition)
vertrauenswürdig war sie mir sofort erschienen. Schnell blätterte ich weiter. Simone Geier. Die fehlte mir gerade noch. Widerwillig überflog ich die Notizen unter ihrem Namen trotzdem.
»Ich dachte eigentlich«, setzte Raphael an, als ich plötzlich stutzte. »Präsentationen, Termine, Geschäftsreisen für J. W. und S. H.« stand da. Blau auf weiß. Direkt unter der Notiz »reagiert sehr schockiert auf W.s Tod« und über dem Vermerk »zusätzlich auch noch eigene Projekte – Workaholic?« .
»… das macht die Geier«, antworteten Raphael und ich wie aus einem Munde. Hatte Simone die verräterische Hotelrechnung erhalten? War sie die Erste gewesen, die von der außerehelichen Affäre Wahlners gewusst hatte? Beim Gedanken an ihre derbe, beinahe maskuline Statur und ihr kurzes hellbraunes Haar schrak ich zusammen. »Oh mein Gott …«, entfuhr es mir.
Raphael starrte mich mit aufgerissenen Augen an. »Denkst du das Gleiche wie ich?«, fragte er.
Im nächsten Moment zuckten wir beide zusammen, als es hinter uns ungeduldig hupte. Raphael trat hektisch aufs Gas und würgte den Motor ab. Das war ihm in der ganzen Zeit, die wir schon zusammenarbeiteten, noch kein einziges Mal passiert.
»Dann hätte sie gelogen, als sie behauptet hat, sie wüsste nicht sicher, ob zwischen Celia und dem Wahlner privat was läuft«, sagte ich tonlos.
»Was ist denn los?«, fragte Moritz irritiert.
Raphael schaffte es mit fahrigen Händen, den Wagen zu reanimieren. Endlich fuhr er los. »Und sie hat dieses vermaledeite runde, weiche Gesicht, von dem Wunderlich gesprochen hat.« Er sah mit versteinerter Miene zu mir herüber.
»Sie versteht sich gut mit der Egerjahn«, fiel mir ein. »Kannst du dich noch an das Getuschel auf dem Parkplatz erinnern? Und wenn die ihr das mit den Geldscheinen in der Kasse nicht gesteckt hat, könnte es immer noch der Hoyer gewesen sein.«
»Geht’s noch kryptischer?«, nölte Moritz wieder dazwischen.
In meinem Gehirn arbeitete es so fieberhaft, dass ich ihm nicht antworten konnte.
»Auf der Weihnachtsfeier hat sie einen Hosenanzug getragen. Das geht als Männerkleidung durch, oder?«, fragte Raphael.
Ich nickte. »Und sie war in Wirklichkeit nicht so unglaublich schockiert, weil Wahlner tot war, Raphael!« Ich hörte selbst, dass ich schon beinahe hysterisch klang. »Sie war schockiert, weil man ihn gefunden hatte!«
»Außerdem hatte sie die Möglichkeit, sich ein Duplikat des Kassenschlüssels anfertigen zu lassen.« Raphaels Nicken zufolge gab es für ihn keinen Zweifel mehr. Entschlossen trat er aufs Gas.
»Etwa die Geier?«, eierte Moritz wieder los.
»Sie hat auf alles Zugriff und weiß, wer an welcher Aufgabe arbeitet.« Ich sammelte immer noch Fakten, um mich selbst zu überzeugen.
»Und«, sagte Raphael, schon wieder die Ruhe selbst, »sie ist meistens die Erste, die morgens kommt, und eine der Letzten, die abends gehen. Sie hatte genug Gelegenheit, ihr Unwesen zu treiben und tote Tauben zu verstecken.«
»Die Geier«, erkannte Moritz endlich eindeutig. »Heilige Scheiße.«
»Die Frage ist nur«, Raphael seufzte angesichts der nächsten roten Ampel, »warum das alles?«
»Dieser Job ist Simone Geiers Leben«, antwortete ich tonlos. »Ihr Mann hat sie verlassen, weil sie zu viel arbeitet … Aber für ihn beruflich kürzerzutreten, darüber hat sie anscheinend nicht einmal nachgedacht.«
Raphaels Blick war undefinierbar, ging mir aber trotzdem durch und durch.
»Also hatte sie einfach Angst?« Mit einem Minimalabstand zum Vordermann fuhr er sichtlich erleichtert wieder los.
»Dass Celia ihr den Rang abläuft, ja.« Endlich war ich mir sicher. »Wahlner hat Celia ihre Projekte übertragen. Wahlner hat Celia auf Geschäftsreise mitgenommen – an ihrer Stelle. Vielleicht hätte Wahlner Celia als Nächstes ihren Job gegeben?«
»Aber warum hat sie nach Wahlners Tod angefangen, Celia zu mobben?«, fragte Moritz, der sich die Zusammenhänge zwischenzeitlich zum Glück selbst erschlossen hatte.
Ich versuchte, Simone Geier zu verstehen. Ihr Festklammern am Beruf, weil es sonst nichts gab, woran sie sich festklammern konnte. Die wegen Celia durchlittenen Qualen, die Eifersucht. Ja, die vor allem. Die Eifersucht auf diese schöne, charmante Frau, der die Männerherzen ebenso zuflogen wie die Karriere. Während sie, Simone, nichts hatte außer ihrem Fleiß und ihrer Qualifikation und hilflos zusehen musste, wie sich die vom Schicksal und von den Genen begünstigte Rivalin
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