Donner: Die Chroniken von Hara 3
aushändigte.
»Gehe in Frieden, Giss«, wünschte ihm Alenari zum Abschied.
Giss verneigte sich noch einmal und folgte Kadir zum Zimmer hinaus.
Kurz darauf kehrte der Nekromant zu Alenari zurück, um Bericht zu erstatten: »Die Nabatorer geben ihm ein Pferd und geleiten ihn aus der Schule hinaus.«
»Vortrefflich«, bemerkte Alenari, während sie die Flamme einer brennenden Kerze nachdenklich betrachtete.
»Gebieterin …«, setzte Kadir an und räusperte sich. »Darf ich fragen …«
»… warum ich ihn am Leben gelassen habe?«, vollendete Alenari gelangweilt den Satz. »Weil wir darauf verzichten können, uns die Dämonenbeschwörer zu Feinden zu machen. Sie tragen keinen Funken in sich. Abgesehen davon haben sich diese Menschen häufig genug als nützlich erwiesen.«
»Aber …«
»Du stammst nicht aus diesem Land, Kadir, und deshalb weißt du auch nicht, was Dämonen darin anrichten. Wir sind hier nicht in Sdiss, wo du nur in der Wüste, fernab von der Straße des Seidengarns, zuweilen auf einen Dämon triffst. Im Vergleich zu deiner Heimat wimmelt es im Imperium nachgerade von Gowen. Wenn wir hier leben wollen, müssen wir an die Zukunft denken. Es gibt zu wenige Dämonenbeschwörer, als dass wir diese ohne triftigen Grund töten sollten. Habt ihr einen Diener gefunden?«
»Ja.«
Auf eine Geste des Nekromanten hin brachten die Nabatorer einen blassen Mann herein. Kaum erblickte er die Verdammte, knickten ihm in seiner Panik die Beine weg.
»Was ist das denn für einer?«, fragte Alenari verächtlich.
»Er hat in der Bibliothek gearbeitet.«
»Hast du schon von mir gehört?«, fragte Alenari den Mann.
Der wimmerte jedoch bloß leise, worauf Kadir ihm einen Tritt in die Rippen versetzte und ihn anschrie: »Antworte der Herrin gefälligst!«
Alenari runzelte zwar die Stirn, verlor jedoch kein Wort über dieses Verhalten.
»Antworte«, wiederholte der Nekromant. »Dann kannst du wieder gehen.«
Dieses Argument stimmte den Mann etwas zugänglicher. Er beruhigte sich ein wenig, obwohl er immer noch zitterte und ihm Tränen über die faltendurchzogenen Wangen liefen.
»Ich nehme an, du hast dich während deiner Arbeit auch mit den Schreitenden unterhalten?«
»Zuweilen, Herrin.«
»Weißt du, wer von ihnen hiergeblieben ist, nachdem alle anderen die Schule verlassen haben?«
»Ja, Herrin.«
»Mich interessiert eine junge Schreitende. Ihr Haar ist von einer silbernen Strähne durchzogen. Wie heißt sie?«
Der Gefangene runzelte die Stirn, stülpte die schmalen Lippen vor und versuchte, sich an den Namen zu erinnern.
»Mitha, Herrin! Sie heißt Mitha!«
»Weiter?«
»Wie, weiter? Woher soll ich das wissen? Alle haben sie immer nur Mitha genannt. Selbst die Herrin Gilara. Ich als unbedeutendes Licht …«
»Schafft bloß diesen Jammerlappen hinaus«, zischte Alenari.
Der Mann wimmerte erneut, bereits das Schlimmste fürchtend. Die Nabatorer packten ihn ohne viel Federlesens am Kragen und schleiften ihn weg.
»Aus dem bringen wir nicht mehr heraus«, erklärte Alenari und erhob sich. »Frage die anderen Diener, vielleicht kennt ja einer von ihnen den vollen Namen dieses Mädchens.«
»Ich werde mich unverzüglich darum kümmern«, versicherte Kadir mit einer Verbeugung.
»Uyg, folge mir«, befahl Alenari, nahm ihren Umhang und durchquerte federnden Schrittes die leeren, kalten Gänge und die gewaltigen, im nächtlichen Schatten liegenden Säle, durch deren Fenster die bleichen Strahlen des Mondes hereinfielen.
Der Uyg eilte ihr voraus eine breite Treppe hinunter. An den Saal des Kompasses schloss sich eine Galerie an, die in einen der Innenhöfe der Schule hinausführte. Einen mit fliederfarbenen Platten ausgelegten Weg säumten Statuen all jener Frauen und Männer, die aufgrund ihres Funkens zu Ruhm gelangt waren. Seit ich diese Schule verlassen habe, sind es kaum mehr Statuen geworden, dachte Alenari bei sich. Genauer gesagt, es sind nur fünf dazugekommen.
Bei einer von ihnen handelte es sich selbstverständlich um Soritha. Die Schreitenden hätten gar nicht anders handeln können, denn es wäre dumm gewesen, zukünftige Generationen nicht mit den Geschichten über diese
heilige Märtyrerin
zu indoktrinieren. Drei andere Frauen kannte Alenari nicht. Die letzte Statue zeigte ihre Mutter, Alista rey Vallion.
Alenaris Herz hämmerte erst wild, dann setzte es kurz aus. Ihr Blick ruhte wie gebannt auf dem edlen, schönen und so vertrauten Gesicht der bereits angejahrten, silberhaarigen
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