Donner: Die Chroniken von Hara 3
»Und für unsere Fehler müssen häufig andere bezahlen. Diejenigen, die uns nahestehen, diejenigen, die wir lieben, gehen manchmal von uns, das brauche ich dir nicht zu sagen. Es ist ein Gesetz des Lebens, mein Freund. Halte du nur den Wind fest und tu, was getan werden muss!«
In diesem Augenblick platzte das Kohlenbecken mit einem lauten Knall.
Und ich wachte auf.
Schwarze Nacht umgab mich. Das Lagerfeuer war fast heruntergebrannt. Ghbabakh schnaufte leise. Yumi spitzte die Ohren, öffnete die Augen, erwähnte seinen Hund und schlief wieder ein. Die Verdammte Typhus war ebenfalls wach. Sie hatte sich eine warme Decke über die Schultern geworfen und saß neben den glimmenden Holzscheiten. Als sie meinen Blick auf sich spürte, drehte sie sich um. Die nächsten Sekunden sahen wir einander unverwandt an, dann drehte ich mich auf die andere Seite. Bis zum Morgen fand ich keinen Schlaf mehr.
Jäh hörte die Saiga zu grasen auf, riss den Kopf hoch, spähte in unsere Richtung und schnüffelte aufmerksam mit der großen, braunen Nase in der Luft.
Yumi saß neben mir auf der Lauer und hielt sein beinernes Blasrohr bereit. Nadeln, die er von Sträuchern am Straßenrand gepflückt und mit dem Gift aus Ghbabakhs Stacheln eingeschmiert hatte, gaben seine Pfeile ab. Diese bewahrte er sonst in einem kleinen Lederbeutel am Gürtel auf. Ich hoffte inständig, dass Yumi sich nie selbst zufällig an den Dingern stach, denn Ghbabakhs Gift brachte unvermeidlich den Tod. Im Moment verzichtete er jedoch glücklicherweise darauf, eine Nadel durch das Rohr zu schicken. Er wusste genau, dass niemand ein vergiftetes Tier essen würde.
Die Saiga wähnte sich offenbar in Sicherheit, denn sie senkte den Kopf wieder. Sofort war ich auf den Beinen und gab mit dem Bogen einen Schuss ab. Das Tier sprang auf, hetzte noch zehn Yard, fiel dann aber zu Boden. Der schwere Pfeil hatte es zur Gänze durchbohrt.
»Aus, du Hund!«, rief Yumi triumphierend und lief los, um sein Abendessen zu begutachten.
Ghbabakh tauchte ebenfalls aus dem Gras auf, zudem völlig lautlos. Es verblüffte mich immer wieder, wie geschmeidig und leise sich dieser Muskelberg bewegte.
»Gwut gwemacht«, lobte er meinen Schuss. »Das gwibt ein leckweres Abendessen. Wie das Tier wohl hier hergwekwommen ist?«
»Er hat was zu futtern gesucht. Bis zur Steppe sind es nur zwei Tage, das ist keine allzu große Entfernung. Schon gar nicht für jemanden mit vier Beinen.«
»Aus, du Hund!«, sagte Yumi.
»Er sagwat, wir sollten langwasam anfangwen, Fleisch zu dörren. Der Winter steht vor der Tür.«
Das stimmte. Bald würde das Wild nach Süden ziehen. Und selbst wenn wir nicht durch menschenleeres Ödland ritten, könnten wir Probleme mit der Versorgung bekommen. Vor allem, da im Land Krieg herrschte.
Der Blasge übernahm es, das Tier zu unserem Rastplatz zu bringen, und weder Yumi noch ich erhoben Einwände dagegen. Er schulterte die Saiga, als sei sie eine Feder, und stapfte los. Wir folgten ihm.
Irgendwann hatten die vermaledeiten Steppen unversehens geendet. Shens Stimmung hatte sich daraufhin schlagartig gebessert, ja, vorübergehend hatte er sogar aufgehört, sich mit Typhus zu streiten. Nun ritten wir durch lichtes Waldgebiet mit zahlreichen Schluchten und Bächen sowie kleineren Flüssen, die der Regen hatte übertreten lassen. Zweimal hatten wir das Glück gehabt, in Dörfern übernachten zu können. Allerdings waren beide völlig verlassen gewesen …
Auf der Straße begegnete uns ebenfalls niemand. Wer wollte in dieser Zeit auch schon hierher? In eine Gegend, die weitgehend von den Nabatorern kontrolliert wurde. Das Land schien ausgestorben, als habe die Pest in ihm gewütet – die allein wir überlebt hatten.
Gestern Abend war Yumi in einem Straßengraben auf zwei Leichen gestoßen, die mit Armbrustbolzen gespickt und bereits vermodert waren. Daraufhin hatte er die nähere Umgebung abgesucht, aber wie vermutet keine Menschenseele entdeckt.
»Was hältst du von diesem Krieg?«, fragte ich Ghbabakh, nachdem er das erlegte Tier von einer Schulter auf die andere gepackt hatte.
»Willst du eine Binsenweisheit hören?«, erwiderte er. »Kwariegwa ist immer schlecht. Aber ich kwämpfe gwern. Das stellt den Sinn meines Lebens dar.«
»Was glaubst du, ist das Sumpfheer bereits ausgezogen?«
»Nein. Als ich aufgwebrochen bin, waren noch viele Khagher zu Hause. Einigwe haben sich auch in Kworunn aufgwehalten. Ich werde kwämpfen, aber erst, wenn ich bei meinen
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