Donner unter der Kimm
Entzücken der kleinen Elizabeth ein Ständchen brachten.
Er riß sich zusammen und befahl: »Heißt Gefechtsflagge!« Die Blöcke der Flaggleinen quietschten, als seine rote Flagge eingeholt und die größte britische Nationale an Bord gehißt wurde. Noch wehte sie im Schutz der Dunkelheit, doch nach Sonnenaufgang mußte Jobert sie sehen. Der Gedanke versetzte Bolitho in eine eigenartige Hochstimmung.
Paget drehte sich um und meldete Vollzug: »Flagge gehißt, Sir Richard!«
Bolitho nickte. Auch Paget wußte, das Warten hatte jetzt ein Ende.
»An Deck! Schiff in Lee!«
»Gut gemacht, Val«, sagte Bolitho. »Unsere Position ist perfekt.«
Ein Kanonenschuß hallte übers Wasser, nur ein einzelner, und Bolitho glaubte, für einen Sekundenbruchteil den Mündungsblitz gesehen zu haben.
»Geleitzug voraus!« schrie ein anderer Ausguck.
»Signal ans Geschwader.« Bolitho schritt ruhelos übers Deck und rieb sich das Kinn. Beim nächsten Ruf des Ausgucks schaute er wieder nach oben.
»Zwei Linienschiffe in Lee!«
»Da haben wir's, Val«, meinte Bolitho. »Zwei von diesen Teufeln.« Er warf Stayt einen Blick zu. »Signal ans Geschwader: Feind in Sicht.«
Als er wieder hinüber nach Lee schaute, leuchtete die Kimm wie eine endlose, rosarote Brücke ins Nichts.
Über den gebraßten Rahen des Fockmastes wehte hell und riesig die Flagge aus, scheinbar unabhängig von dem Schiff, das noch ein wenig länger im Schatten verweilte.
»Greifen wir an, Sir?« Das war Stayt.
Bolitho öffnete den Mund um zu antworten, schloß ihn aber wieder. Zwei Linienschiffe. Nicht die Anzahl mißfiel ihm, sondern ihr Kurs. Hier stimmte etwas nicht. Irgendein Instinkt warnte ihn. »Nein. Das Geschwader hält die Formation.« Er drehte sich nicht um, als abermals Geschützfeuer vom Wind herangetragen wurde.
Einige Seesoldaten in den Toppen stießen Hochrufe aus. Ihre wilden Stimmen übertönten den Lärm von Wind und Segeln. Bolitho lockerte seinen Degen in der Scheide, ohne überhaupt zu merken, was er tat.
Vor der Schlacht.
Alle Ressentiments, alle Entbehrungen würden bald vergessen sein. So war das bei der Royal Navy.
Wieder fiel ein Kanonenschuß, diesmal aber achteraus, vom eigenen Geschwader.
»Pest noch mal, wer war das?« rief Keen.
»
Icarus,
Sir«, rief Stayt.
Während das erste Morgenlicht die Masten und Rahen der beiden Schiffe in ihrem Kielwasser streifte, kletterte er in die Wanten.
»Signal von
Icarus,
Sir: Feind im Nordosten gesichtet.« Keen starrte ungläubig hinüber. »Das kann doch nicht wahr sein!«
Bolitho trat an die Reling und umklammerte sie fest.
»Informieren Sie
Barracouta
und
Rapid.«
Als die atemlosen Signalgasten weitere Flaggen setzten, ging er an die Wanten, wo Stayt sich mit gekrümmtem Arm festhielt und sein Teleskop ausrichtete.
»Drei Linienschiffe, Sir.« Er bewegte beim Entziffern der Flaggensignale von
Icarus
die Lippen. »Und zwei andere Schiffe.«
Bolitho fand sich damit ab, obwohl sein Geschwader nun von feindlichen Schiffen in die Zange genommen wurde. Die beiden zuerst gesichteten Fahrzeuge mußten zufällig hier eingetroffen oder von einem anderen Admiral aus ihrem Versteck beordert worden sein. Doch Jobert war da, und das Kräfteverhältnis hatte sich plötzlich zu ihren Ungunsten verändert. Drei gegen fünf, darunter Joberts schwerbestückter Dreidecker. Bei den beiden kleineren, noch nicht identifizierten Schiffen mußte es sich um Fregatten handeln. Englands Chancen standen schlecht, aber er hatte nun keine andere Wahl. Er sah den Rand der Sonnenscheibe über die Kimm steigen und die Segel von Freund und Feind golden färben. Im Fernrohr erkannte er den dichtgedrängt fahrenden Geleitzug, und beim Anblick des vertrauten Umrisses der
Benbow
wurde ihm eng ums Herz. Ihre Stückpforten standen bereits offen.
Auf den beiden Franzosen blitzte es mehrmals auf; dünne Fontänen wuchsen zwischen den Wellenkämmen empor und wurden vom Wind zerfetzt.
Joberts Geschwader mußte rasch an der anderen Küste Sardiniens entlanggesegelt sein und dabei die
Helicon
mit ihren Verwundeten versenkt haben. Es lag an Backbord achteraus und war vom Achterdeck noch nicht sichtbar. Die anderen beiden Schiffe näherten sich von Steuerbord und nahmen die
Benbow
unter Beschuß, vermutlich mit Kettenkugeln, um sie zu entmasten oder wenigstens kampfunfähig zu machen. Jobert würde ihr dann den Rest geben.
Weitere Kanonenschüsse. Bolitho richtete das Fernrohr auf eine kleine Fregatte, die hinter den
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