Donner unter der Kimm
verschränkte Herrick die Finger auf dem Rücken. Die kleine Fregatte konnte kehrtmachen und rechtzeitig mit dem Wind fliehen, wenn sie in Gefahr geriet. Schade nur, daß er ihren Kommandant nicht näher kannte. Er hatte lediglich heraus – gefunden, daß er Saunders hieß. Herrick schritt zur anderen Seite und sah das ihnen fernerstehende Handelsschiff die Bramsegel setzten, um näher aufzuschließen. Mein Gott, sie sehen aus wie schlachtreifes Mastvieh, dachte Herrick deprimiert. Dann hörte er, wie der Erste Offizier die Mannschaft zu besonderer Anstrengung anspornte. Jedem Mann war bewußt, daß sie zwei Admirale an Bord hatten.
Herrick erwog seine Möglichkeiten. Zurück nach Malta?
Das war bei günstigstem Wind vierhundert Meilen entfernt, und bei Tageslicht würden die Franzosen ihn bald gefunden haben. Also den gegenwärtigen Kurs beibehalten? Dann bestand immerhin die Chance, daß der Feind von herbeigeeilter Verstärkung in ein Gefecht verwickelt wurde oder daß sie ihm im Schutz der Nacht entkommen konnten.
»Wir drehen über Nacht bei, Kapitän Dewar«, sagte er.
Er wandte sich zum westlichen Horizont, wo der Sonnenuntergang bereits in dunklem Rot glühte, und bemerkte einen nervösen Leutnant aus Laforeys Stab in seiner Nähe. Der Mann sagte schüchtern: »Mein Admiral weiß nicht, wo er bleiben soll, seit das Schiff klar zum Gefecht gemacht hat.«
Herrick verkniff sich eine unhöfliche Entgegnung. Zu viele Ohren hörten mit. Ruhig erwiderte er: »Tut mir außer – ordentlich leid, aber unter dieser Unannehmlichkeit haben wir alle zu leiden.«
Eine helle Stimme schrillte vom Großmars herab: »An Deck! Zwei Linienschiffe im Westen! Sie führen die französische Flagge, Sir!«
Herrick musterte rasch sein Deck. Alle Geschütze bemannt, die drei Divisionen bereit, an ihren Masten Segel zu kürzen oder zu setzen. Die Seesoldaten kampfbereit an den Finknetzen und in den Marsen.
Benbow
konnte und würde sich wie schon oft tapfer schlagen. Zum Glück waren in der Mannschaft viele ausgebildete, erfahrene Seeleute. Zwei zu eins: das Kräfteverhältnis war akzeptabel.
Philomels
Masten legten sich hart über, als sie sich durch den Wind kämpfte, bis sich auf dem anderen Bug ihre Segel wieder füllten. Herrick lächelte grimmig. Bolitho hatte Fregatten schon immer geliebt, er hingegen bevorzugte ein solides, kraftvolles Linienschiff unter den Füßen.
Wieder meldete sich der Midshipman: »Ein kleines Schiff greift die Franzosen an, Sir!« Seine schrille Stimme überschlug sich. »Eine Brigg, Sir!«
Herrick starrte hinauf zur Bramstenge. Der Kommandant dieser Brigg versuchte, ihn zu warnen.
»Neuer Kurs Südwest zu West!« bellte er und wartete, bis das entsprechende Signal für den Konvoi gesetzt war. Aber: »Was zum Teufel treibt Kapitän Saunders?« rief er, als
Philomel
abfiel und mit zunehmender Geschwindigkeit auf den Feind zulief. »Rufen Sie diesen Irren zurück! Ich brauche ihn hier!«
Nach einer Weile senkte der Midshipman das Teleskop.
»Philomel
bestätigt nicht, Sir!«
»Verflucht, sind denn alle blind?« Dabei fiel ihm Bolitho ein, und er schämte sich. »Ändern Sie trotzdem den Kurs, Kapitän Dewar«, fügte er hinzu.
Nach der geringfügigen Kursänderung lagen die beiden Handelsschiffe praktisch querab in
Benbows
Lee. In dieser Position waren sie geschützter, wenn der Feind seine volle Stärke zeigte.
Laforeys Leutnant erschien, und Herrick funkelte ihn an.
»Was gibt's jetzt schon wieder?«
Der Leutnant betrachtete die Stückmannschaften, die sandbestreuten Decks, die aufgepflanzten Bajonette der Seesoldaten. »Mit den besten Empfehlungen von Sir Marcus, Sir…«
Herrick hatte einen Einfall. »Sagen Sie meinem Steward, er soll dem Admiral eine Flasche vom besten Portwein geben.« Als der Leutnant zur Poop hastete, rief er ihm hinterher: »Und noch eine, wenn's sein muß!« Er warf Dewar einen Blick zu. »Damit ist ihm wohl das Maul gestopft.«
Vom östlichen Horizont breitete sich die Dunkelheit aus wie ein riesiger Mantel; selbst die Wellenkämme schienen zu schrumpfen, als aus Männern Schatten wurden.
Doch das sporadische Geschützfeuer hielt an: der kurze, scharfe Knall der leichteren englischen Kanonen, gefolgt vom zornigen Brüllen schwerer französischer Geschütze.
Kapitän Dewar nahm von seinem Bootsführer ein Glas Brandy entgegen und sah, daß der Admiral seinem Beispiel folgte.
»Wer sich mit diesen Brocken einläßt, muß ein tapferer Mann sein, Sir.«
Der
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