Donnergrollen: Der fünfte Fall für Jan Swensen (German Edition)
das Familiengeheimnis
erst angefangen hat, als der Name Kreuzhausen in diesem Zusammenhang aufgetaucht
ist. Erst als sie im Nachlass ihrer Großtante ein Handbuch der Deutschen Rechtswissenschaften
aus dem Jahre 1937 ans Tageslicht befördert hatte und ihr eine mögliche Zeitungsstory
in den Sinn gekommen war, begann auch der Ärger auf ihre Mutter. Sie fand die ganze
Geschichte ungeheuerlich, und alles hatte plötzlich mit ihrer Familie zu tun. Dieses
Handbuch zum Beispiel, in dem ein gewisser Ferdinand Kreuzhausen dem Führer Adolf
Hitler eine fast göttliche Unfehlbarkeit zuerkannte. Wortwörtlich stand da geschrieben:
»Was der
Führer von Gemeinschaft wegen als richtig oder umgekehrt als sittenwidrig und daher
als Recht oder Unrecht bezeichnet, das ist es, ohne dass es eines formellen Rechts
bedarf. Ein derartiges feierliches Zum-Ausdruckbringen des Volksgewissens, insbesondere
des Rechtsgewissens des Volkes, lässt sich meines Erachtens am besten als Führerbefehl
bezeichnen. Das bedeutet aber nicht, dass das Volk den Führer in irgendeiner Form
konkret zur Verantwortung ziehen könnte.«
Die Journalistin hatte sich bei
der Lektüre des Textes an ihr Gespräch mit Think Big erinnert, der den Vater von
Heinrich Kreuzhausen interviewt haben wollte. Ihre spontane Vermutung, dass dieser
Vater und Ferdinand Kreuzhausen vielleicht ein und dieselbe Person sind, bestätigte
sich nach ein paar Recherchen im Landesarchiv. Ferdinand Kreuzhausen war Rechtsanwalt,
Weltkriegsoffizier und Spross eines Eiderstedter Großgrundbesitzergeschlechts gewesen.
Sein Standesbewusstsein und seine Weltgewandtheit prädestinierten ihn für eine schnelle
Karriere in der NSDAP. Nach der Machtübernahme wurde er zum Kreisleiter ernannt,
dann zum Landrat von Eiderstedt, ab 1938 zum Regierungspräsidenten. Nach seinem
Tod im Jahre 1959 erbte sein Sohn Heinrich Kreuzhausen das Herrenhaus von Hoyerswort.
Maria Teske war sich sofort sicher gewesen, dass das für eine Story reichen würde,
wenn sie den heutigen Mord irgendwie mit der Vergangenheit verknüpfen könnte, und
wenn … ja, wenn der Chefredakteur mitziehen würde.
Und er zieht
wirklich mit, denkt sie innerlich jubelnd und lässt die letzten Tage noch einmal
Revue passieren, in denen Scham, Angst und Entschlossenheit, der Sache auf den Grund
zu gehen, sich die Waage gehalten hatten. Das ist eine gute Gelegenheit, meinem
verwirrten Zustand durch eine distanzierte Sichtweise näher zu kommen, indem ich
aus dem Geheimnis eine Story für die Zeitung mache. Dann kann ich noch einmal genauer
begreifen, auf welche Weise meine Familie und diese Kreuzhausens miteinander verbunden
sind.
*
Hauptkommissar Swensen steht im
Schatten der knubbeligen Linden, die sich entlang der grasbewachsenen Steinmauer
des Totengangs reihen. Nur mit Mühe kann er seine Unruhe bändigen, tritt nervös
von einem Bein auf das andere.
Polizeiarbeit
besteht zum größten Teil aus warten, warten und nochmals warten, denkt er ungehalten
und erhält prompt die Widerworte seines Meister Rhinto Rinpoche, der wie selbstverständlich,
ohne dass er darum gebeten hat, zu ihm spricht.
»Geduld
ist etwas Heldenhaftes, darum übe dich jeden Tag geduldig in Achtsamkeit. Geduld
ist der Ausgangspunkt, damit du tief in dir erkennst, dass du nichts zu verlieren
hast. Wenn du nicht zum persönlichen Nutzen deines Egos nach Erleuchtung suchst,
hast du auch kein Verlangen, einen Zaun um deinen Garten zu errichten. Dein bestellter
Garten wird zum Niemandsland, der für jedermann zugänglich ist. Er öffnet sich zum
Land des Strahlens, dem Prabhakari-Bhumi. Es ist die Geduld, durch die der Bodhisattva
die Einsicht in die Vergänglichkeit des Daseins gewinnt.«
Swensen schaut über die Mauer auf
die Gräber des Friedhofsgeländes. Selbst der letzte Weg zur Vergänglichkeit ist
nicht vor Polizeiarbeit geschützt. An mehreren Ecken haben sich bereits Kollegen
von der K1 aus Flensburg hinter Büschen und Bäumen positioniert, nur die Husumer
Kripobeamten sind nirgendwo zu sehen. Swensen überlegt, ob er Silvia oder Stephan
anrufen soll, verwirft den Impuls aber gleich wieder. Seine Geduld ist auf eine
harte Probe gestellt, noch knappe 20 Minuten, bevor es losgehen soll.
Alles ist
nur die Interpretation deiner eigenen Sichtweise, müsste der Meister jetzt eigentlich
sagen, denkt der Kriminalist. Doch der Meister schweigt. So liefert er sich selbst
die passende Antwort: Nur weil du besonders früh an Ort und Stelle bist,
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