Donnergrollen: Der fünfte Fall für Jan Swensen (German Edition)
streng
gehütete Familiengeheimnis der Familie Teske entdecken würde, wäre der Journalistin
zum damaligen Zeitpunkt nicht im Traum eingefallen.
»Großonkel Ludwig … der war doch
Omas Bruder«, fragt sie aufgebracht ihre Mutter. »Wieso hat man seine Person bis
heute in unserer Familie verschwiegen?«
»Das waren
andere Zeiten, Maria! Wir beide können uns nicht vorstellen, wie es unter den Nazis
zugegangen ist. Ich bin schließlich selbst erst nach dem Krieg geboren. Mein Vater
hat so gut wie nie über die Vergangenheit gesprochen. Das Wenige, was ich von damals
weiß, habe ich nur nach und nach von meiner Mutter erfahren.«
»Aber ihr
Bruder war verheiratet, hatte ein Kind. Es war erst neun Jahre alt, da sind beide
gestorben, am selben Tag. Da ist doch etwas Schreckliches passiert? Das musst du
doch gewusst haben?«
»Du wolltest
nie etwas über deine Großeltern wissen, hast nie gefragt!«
»Ich kannte
sie ja auch kaum. Ich weiß noch, dass Opa aus Dänemark kam. Aber wie haben Oma und
er sich denn kennengelernt?«
»Das willst
du alles wissen? Mal sehen, ob ich das noch zusammen bekomme. Also gut … Opa ist
im Sommer 1940 nach Deutschland gekommen, um zu arbeiten. Hitlerdeutschland fehlten
Arbeitskräfte. Das hat Oma mir erzählt, als ich selbst noch ein junges Mädchen war.
Es fehlten Arbeiter, weil die deutschen Männer für den Krieg gebraucht wurden. Gleich
nach der Besetzung Dänemarks hat man dänische Arbeitslose angeworben. Dein Opa war
unter den ersten Freiwilligen, die nach Schleswig-Holstein gekommen sind. Die Dänen
haben in Nordhusum auf dem Flugplatz Schauendahl Pisten gebaut und Schutzwälle aufgeschüttet.
Opa hat es aber nicht gefallen, hier in Deutschland. Er hat über die Hungerernährung
in Deutschland geschimpft, als er deine Oma kennengelernt hat, beim Schwof in Hensens
Garten in der Nordbahnhofsstraße. Wenn Oma nicht immer wieder mit Jørgen getanzt
hätte, wäre er bestimmt wieder nach Dänemark zurück, hat Oma immer gesagt, dann
hätten wir nie geheiratet, und dich, Elisabeth, hätte es nie gegeben.«
»Oma und
Opa haben erst nach dem Krieg geheiratet, Großonkel Ludwig aber im November 1934
oder?«
»Das wird
schon stimmen, so genau weiß ich das nicht mehr.«
»Hertha
hat mir ihre Hochzeitsurkunde gezeigt, als ich mit ihr gesprochen hab, für die Zeitung.
Das Kind ist im April 1935 geboren. Sie mussten heiraten oder?«
»Dein Großonkel
durfte erst heiraten, nachdem er sterilisiert war, wegen seinem Klumpfuß. Deswegen
haben die beiden heimlich beschlossen, erst ein Kind zu zeugen, bevor er sich sterilisieren
ließ.«
»Was? Er
musste sich sterilisieren lassen?«
»Das waren
die Gesetze der Nazis.«
»Und deswegen
wurde er in der Familie totgeschwiegen?«
»Nein, deswegen
nicht. Deine Urgroßeltern waren Kommunisten, die waren wütend, dass dein Großonkel
in eine Nazifamilie einheiratet.«
»Ich glaube,
ich versteh überhaupt nichts mehr. Das hört sich alles völlig verzwickt an!«
»Ich habe
dir gleich gesagt, das ist heute alles schwer zu verstehen, Maria.«
»Und warum
sind mein Großonkel und sein Kind am gleichen Tag gestorben?«
»Das ist
bei einem Luftangriff passiert. Die Engländer haben regelmäßig den Flugplatz Schauendahl
angegriffen, nur wenige Kilometer vom Stadtzentrum entfernt. Eine verirrte Bombe
ist in der Neustadt eingeschlagen, direkt in das Haus deines Großonkels. Deine Großtante
war in einem Luftschutzkeller, mehr weiß ich auch nicht.«
»Aber das
… das würde bedeuten … ich meine, dann … dann hat Opa an dem Flugplatz mitgebaut,
der beim Angriff meinem Großonkel das Leben gekostet hat?«
»Es waren
schreckliche Zeiten, Maria.«
»Und über
schreckliche Zeiten wird in unserer Familie nicht gesprochen?«
»Du hast
nie gefragt, nach den schrecklichen Zeiten, mein Kind.«
Sie hat genau meinen Nerv getroffen,
meine Mutter, muss Maria Teske sich eingestehen. Für die Zeitung frage ich ununterbrochen,
in meiner Familie habe ich die Klappe gehalten.
Sie atmet
tief durch, und im selben Moment erklärt Think Big die Themenkonferenz für beendet.
Die Journalistin hat keinen blassen Schimmer, was sonst noch beschlossen wurde.
Sie schlendert zu ihrem Schreibtisch hinüber und überfliegt ihre Notizen, die sie
vor der Konferenz bei ihrer Internetrecherche gemacht hat.
Vielleicht
bin ich nur Journalistin geworden, weil ich einen Nachholbedarf im Nachfragen habe,
grübelt sie und muss zugeben, dass ihre ganze Entrüstung über
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